J. R. Tolkien
Der kleine Hobbit
scanned by goblin
revised by AnyBody
Bilbo Beutlin, ein angesehener Hobbit, läßt sich in ein Abenteuer
verwickeln, das Hobbitvorstellungen bei weitem übersteigt. Nicht nur, daß
er sich auf eine Reise von Jahresdauer begibt, er läßt sich sogar vom
Zwergenkönig Thorin Eichenschild und seinen Genossen als Meisterdieb
unter Vertrag nehmen und verpflichtet sich, den Zwergen bei der
Rückgewinnung ihres geraubten Schatzes zu helfen. Sein Ruf ist dann auch
so ziemlich beim Teufel, als er nach erfolgreich bestandenen Abenteuern
wieder in Hobbingen ankommt. Seine Erfahrungen mit dem Zauberer, den
Zwergen, den Elben, Riesenspinnen und Menschen werden hier
beschrieben.
ISBN: 3423071516
Dtv, Mchn.
Erscheinungsdatum: 2001
Inhalt
Inhalt ....................................................................................2
Eine unvorhergesehene Gesellschaft ...................................3
Gebratenes Hammelfleisch................................................32
Eine kurze Rast ..................................................................71
Über den Berg und unter den Berg....................................81
Rätsel in der Finsternis ......................................................94
Raus aus der Bratpfanne, rein ins Feuer ..........................118
Ein sonderbares Quartier .................................................140
Fliegen und Spinnen ........................................................169
Fässer unverzollt ..............................................................201
Ein warmes Willkommen ................................................220
Auf der Türschwelle ........................................................233
Erkundung in der Tiefe ....................................................243
Nicht zu Hause.................................................................267
Feuer und Wasser ............................................................280
Die Wolken sammeln sich...............................................291
Ein Dieb in der Nacht ......................................................302
Die Wolken bersten .........................................................309
Der Weg zurück...............................................................322
Das letzte Kapitel.............................................................332
Eine unvorhergesehene Gesellschaft
In einer Höhle in der Erde, da lebte ein Hobbit. Nicht in
einem schmutzigen, nassen Loch, in das die Enden von
irgendwelchen Würmern herabbaumelten und das nach
Schlamm und Moder roch. Auch nicht etwa in einer trockenen
Kieshöhle, die so kahl war, daß man sich nicht einmal
niedersetzen oder gemütlich frühstücken konnte. Es war eine
Hobbithöhle, und das bedeutet Behaglichkeit.
Diese Höhle hatte eine kreisrunde Tür wie ein Bullauge. Sie
war grün gestrichen, und in der Mitte saß ein glänzend gelber
Messingknopf. Die Tür führte zu einer röhrenförmig langen
Halle, zu einer Art Tunnel, einem Tunnel mit getäfelten
Wänden. Der Boden war mit Fliesen und Teppichen ausgelegt,
es gab Stühle da von feinster Politur und an den Wänden Haken
in Massen für Hüte und Mäntel, denn der Hobbit hatte Besucher
sehr gern. Der Tunnel wand und wand sich, führte aber nicht tief
ins Innere des Berges hinein, den alle Leute viele Meilen weit
rund im Lande schlechthin "den Berg" nannten. Zahlreiche
kleine, runde Türen öffneten sich zu diesem Tunnel, zunächst
auf der einen Seite und dann auch auf der anderen. Treppen zu
steigen brauchte der Hobbit nicht : Schlafräume, Badezimmer,
Keller, Speisekammern (eine Masse von Speisekammern),
Kleiderschränke (ganze Räume standen ausschließlich für die
Unterbringung seiner Garderobe zur Verfügung), Küchen,
Eßzimmer - alles lag an demselben langen Korridor. Die besten
Zimmer lagen übrigens auf der linken Seite (wenn man
hereinkommt), denn ausschließlich diese hatten Fenster,
tiefgesetzte, runde Fenster, die hinaus auf den Garten blickten
und über die Wiesen, die sich gemächlich hinab bis zum Fluß
neigten.
Dieser Hobbit war ein sehr wohlhabender Hobbit, und sein
Name war Beutlin. Die Beutlins hatten seit undenklichen Zeiten
in der Nachbarschaft des "Berges" gelebt, und die Leute hielten
sie für außerordentlich achtbar - nicht nur weil die meisten der
Beutlins reich, sondern weil sie noch nie in ein Abenteuer
verstrickt gewesen waren und nie etwas Unvorhergesehenes
getan hatten. Man konnte im voraus sagen, was ein Beutlin auf
eine Frage antworten würde, ohne daß man sich die Mühe
machen mußte, diese Frage wirklich zu stellen. Dies hier aber ist
eine Geschichte von einem Beutlin, der trotzdem Abenteuer
erlebte und sich selbst über völlig unvorhergesehene Fragen
reden hörte.
Vielleicht verlor er bei seinen Nachbarn an Ansehen, aber er
gewann - nun, ihr werdet ja sehen, ob er am Ende überhaupt
etwas gewann.
Die Mutter unseres Hobbits - was ist eigentlich ein Hobbit?
Ich glaube, daß die Hobbits heut zutage einer Beschreibung
bedürfen, da sie selten geworden sind und scheu vor den
"Großen Leuten", wie sie uns zu nennen pflegen. Sie sind (oder
waren) ungefähr halb so groß wie wir und kleiner als die
bärtigen Zwerge (sie tragen jedoch keine Bärte). Es ist wenig,
sozusagen gar nichts von Zauberei an ihnen, ausgenommen die
alltägliche Gabe, rasch und lautlos zu verschwinden, wenn
großes dummes Volk wie du und ich angetapst kommt und
Radau macht wie Elefanten, was sie übrigens eine Meile weit
hören können. Sie neigen dazu, ein bißchen fett in der
Magengegend zu werden. Sie kleiden sich in leuchtende Farben
(hauptsächlich in Grün und Gelb). Schuhe kennen sie überhaupt
nicht, denn an ihren Füßen wachsen natürliche, lederartige
Sohlen und dickes, warmes, braunes Haar, ganz ähnlich wie das
Zeug auf ihrem Kopf (das übrigens kraus ist). Die Hobbits
haben lange, geschickte, braune Finger, gutmütige Gesichter,
und sie lachen ein tiefes, saftiges Lachen (besonders nach den
Mahlzeiten; Mittagessen halten sie zweimal am Tag, wenn sie
es bekommen können). Nun, das sei vorerst genug, und wir wollen
fortfahren.
Bilbo Beutlin hieß unser Hobbit, und seine Mutter war die
berühmte Belladonna Tuk, eine der drei ausgezeichneten
Töchter des alten Tuk. Der alte Tuk war das Haupt der Hobbits
die jenseits des "Wassers" wohnten, des schmalen Flusses am
Fuß des Berges. Es wurde oft gemunkelt, daß vor langer Zeit
einmal ein Tuk eine Fee geheiratet hätte. Das war natürlich
Unsinn. Aber sicherlich war bei ihnen nicht alles hobbitmäßig.
Denn ab und zu ging ein Angehöriger der Tuks fort und stürzte
sich in Abenteuer. Sie verschwanden heimlich, und die Familie
vertuschte es. Tatsache ist jedenfalls, daß die Tuks nicht ganz so
respektabel waren wie die Beutlins, obgleich sie unzweifelhaft
reicher waren.
Nicht, daß Belladonna Tuk jemals in irgendwelche Abenteuer
verwickelt gewesen wäre, nachdem sie die Frau von Mister
Bungo Beutlin geworden war. Bungo, Bilbos Vater, baute
(teilweise mit ihrem Geld) für sie die kostspieligste
Hobbithöhle, die jemals unterhalb oder oberhalb des Berges
oder jenseits des Wassers gebaut worden war. Und dort lebten
sie bis an das Ende ihrer Tage. Indessen ist es wahrscheinlich,
daß Bilbo, ihr einziger Sohn, obgleich er doch aussah und sich
genauso benahm wie eine zweite Ausgabe seines grundsoliden
und behäbigen Vaters, irgend etwas Wunderliches in seinen
Anlagen von der Tukseite übernommen hatte. Es war etwas, das
nur auf die Chance wartete, um ans Licht zu kommen. Die
Chance ergab sich erst, als Bilbo Beutlin etwa 5o Jahre alt
geworden war, in der wunderschönen Hobbithöhle wohnte, die
sein Vater erbaut, und sich augenscheinlich zur Ruhe gesetzt
hatte.
Eines Morgens, vor langer Zeit, in der großen Stille, als es
noch wenig Geräusche und mehr Grün gab, als die Hobbits noch
zahlreich und glücklich waren und Bilbo Beutlin nach dem
Frühstück vor seiner Tür eine enorm lange Holzpfeife rauchte,
die nahezu bis zu seinen wolligen Zehen reichte (die immer
sauber gebürstet waren), da ereignete sich ein merkwürdiger
Zufall - Gandalf kam vorbei. Gandalf!
Wenn ihr auch nur ein Viertel von dem gehört hättet, was ich
über ihn gehört habe (und ich habe nur sehr wenig gehört von
alldem, was es da zu hören gab), so würdet ihr bestimmt höchst
verwunderliche Geschichten erwarten. Geschichten und
Abenteuer schossen nur so auf an allen Wegen, die er jemals
gezogen war. Seit sein Freund, der alte Tuk, gestorben, war er
nun schon viele Jahre nicht mehr hier im Land unterhalb des
Berges gesehen worden. Wirklich, die Hobbits hatten fast
vergessen, wie er aussah. Seine Geschäfte hatten ihn über den
Berg und über das Wasser geführt, als sie selbst noch kleine
Hobbitjungen und Hobbitmädchen waren.
Alles, was also der keineswegs mißtrauische Bilbo an diesem
Morgen sah, war ein kleiner, alter Mann mit einem Stab, hohem,
spitzem blauem Hut, einem langen grauen Mantel, mit einer
silbernen Schärpe, über die sein langer weißer Bart hing, ein
kleiner, alter Mann mit riesigen schwarzen Schuhen.
"Guten Morgen", sagte Bilbo, und er meinte es ehrlich. Die
Sonne schien, und das Gras war grün.
Aber Gandalf schaute ihn scharf unter seinen buschigen
Augenbrauen hervor an.
"Was meint Ihr damit?" fragte er. "Wünscht Ihr mir einen
guten Morgen, oder meint Ihr, daß dies ein guter Morgen ist,
gleichviel, ob ich es wünsche oder nicht. Meint Ihr, daß Euch
der Morgen gut bekommt oder daß dies ein Morgen ist, an dem
man gut sein muß?"
"Alles auf einmal", sagte Bilbo, "und ein sehr feiner Morgen
für eine Pfeife Tabak vor der Tür obendrein. Wenn Ihr eine
Pfeife bei Euch habt, dann setzt Euch her und bedient Euch!
Nichts drängt zur Eile, wir haben noch den ganzen Tag vor
uns!" Bilbo setzte sich auf die Bank vor der Tür, kreuzte die
Beine und blies einen wundervollen grauen Ring in die Luft, der
heil und ohne auseinanderzuwehen über den Berg schwebte.
"Sehr schön", sagte Gandalf. "Aber ich habe heute morgen
keine Zeit, Ringe zu blasen. Ich suche jemanden für ein
Abenteuer, das bestanden sein will, und es ist außerordentlich
schwierig, jemanden dafür zu finden. "
"Das kann ich mir denken. In dieser Gegend! Wir sind ruhige
Leute hier und suchen keine Abenteuer! Ein ärgerlicher,
störender, unbehaglicher Zeitvertreib. So etwas verspätet nur die
Mahlzeiten. Ich kann nicht verstehen, was jemand daran findet",
sagte unser Mister Beutlin, schob seinen Daumen hinter die
Hosenträger und blies einen noch dickeren Ring in die Luft.
Dann holte er seine Morgenzeitung heraus und begann zu lesen,
gab einfach vor, keine Notiz mehr von dem alten Mann zu
nehmen. Der war offensichtlich nicht von seiner Art.
Hoffentlich ging er jetzt. Aber er rührte sich nicht. Er stand da,
stützte sich auf seinen Stock und betrachtete den Hobbit, ohne
ein Wort zu sagen, bis es Bilbo ungemütlich und er sogar ein
bißchen ärgerlich wurde.
"Guten Morgen!" sagte Bilbo schließlich. "Wir wollen hier
keine Abenteuer, vielen Dank! Ihr könnt es hinter dem Berg
oder jenseits des Wassers versuchen!" Damit meinte er, die
Unterhaltung wäre beendet.
"Was Ihr nicht alles unter 'guten Morgen' versteht", sagte
Gandalf "Jetzt meint Ihr, daß Ihr mich damit loswerden könntet,
daß es gut wäre, wenn ich verschwände."
"Keineswegs, keineswegs, mein bester Herr - wie heißt Ihr
eigentlich? "
"Ja freilich, mein bester Herr! Ich weiß sehr gut, wie Ihr heißt,
Mister Bilbo Beutlin. Und Ihr kennt auch meinen Namen,
obgleich Ihr nicht ahnt, daß ausgerechnet ich dazu gehöre : Ich
bin Gandalf, und Gandalf, denkt nur, das bin ich! Reizend, daß
Belladonnas Sohn mich mit einem 'Guten Morgen' wegscheuchen
will, als ob ich Knöpfe an der Tür verkaufte!"
"Gandalf, Gandalf. Du lieber Himmel, doch nicht der
wandernde Zauberer, der dem alten Tuk ein Paar magischer
Diamantklammern verehrte, die sich von selbst schlossen und
sich niemals ohne Befehl lösten? Keiner verstand es wie er,
beim Kaffeetrinken solch wunderbare Geschichten über
Drachen zu erzählen, über Kobolde und Riesen, über gerettete
Prinzessinnen und über das unvorhergesehene Glück von
Söhnen armer Witwen. Doch nicht Gandalf, der so
ausgezeichnete Feuerwerke abzubrennen verstand! Ja, daran
erinnere ich mich! Der alte Tuk arrangierte sie zur
Sommersonnenwende. Großartig, toll! Sie schossen auf wie
mächtige Lilien, wie Löwenmaul und Goldregen aus Feuer. Den
ganzen Abend noch hingen sie in der Dämmerung." Ihr werdet
schon gemerkt haben, daß Mister Beutlin nicht ganz so
prosaisch war, wie er es von sich selbst annahm.
überdies war er in Blumen geradezu vernarrt. "Meine Güte",
fuhr er fort, "doch nicht der Gandalf, der es auf dem Gewissen
hat, daß so viele brave Burschen und Mädchen einfach ins Blaue
gingen, verrückte Abenteuer zu erleben. Beim Bäumeklettern
angefangen bis zur Reise auf Schiffen, die hinüber zur anderen
Seite segelten? Der Himmel sei mir gnädig, so ein Leben schien
aber - ich meine, Ihr habt in dieser Gegend allerhand
angerichtet. Ich bitte um Verzeihung, aber ich hatte keine
Ahnung, daß Ihr noch immer solchen Unfug macht."
"Was soll ich denn sonst machen?" sagte der Zauberer.
"Und ich bin froh, daß Ihr Euch noch an einiges erinnert. Ihr
scheint beispielsweise meine Feuerwerke in gutem Andenken
behalten zu haben, und das ist gewiß nicht ohne Hoffnung. In
der Tat, um Eures seligen Großvaters Tuk und der armen
Belladonna willen gebe ich Euch gern, um was Ihr mich gebeten
habt."
"Verzeihung, habe ich denn um.etwas gebeten? "
"Natürlich habt Ihr! Zweimal sogar: Um meine Verzeihung
habt Ihr gebeten. Die gebe ich Euch. Und außerdem gehe ich
sogar noch weiter und schicke Euch in dies besagte Abenteuer.
Das ist sehr erheiternd für mich und ausgezeichnet für Euch und
nützlich ist es außerdem - das heißt, wenn Ihr es wohlbehalten
übersteht."
"Tut mir leid. Ich wünsche keine Abenteuer. Vielen Dank,
und heute schon gar nicht. Guten Morgen, mein Herr! Aber
bitte, kommt zum Tee, jederzeit, wie es Euch paßt - warum nicht
morgen? Auf Wiedersehen!" Damit drehte sich der Hobbit um,
verschwand hinter der runden grünen Tür und schloß sie, so
schnell er es, ohne unhöflich zu erscheinen, wagen konnte, denn
Zauberer sind schließlich Zauberer.
Warum in aller Welt bat ich ihn bloß zum Tee! sagte er vor
sich hin, als er in die Speisekammer ging.
Zwar hatte er gerade gefrühstückt, aber er dachte, daß ein
Kuchen oder zwei und ein Schluck dazu ihm guttäten nach
diesem Schrecken.
Gandalf stand inzwischen noch immer vor der Tür und lachte
lange und leise. Nach einer Weile trat er näher, und mit der
Stockspitze kratzte er ein wunderliches Zeichen auf die schöne
grüne Haustür.
Dann zog er davon, gerade als der Hobbit seinen zweiten
Kuchen beendet hatte und erleichtert aufatmete, weil er glaubte,
daß er nun glücklich alle Abenteuer vermieden hätte.
Am nächsten Tag hatte er Gandalf fast vergessen. Ein gutes
Gedächtnis war nicht seine Stärke, es sei denn, er benutzte sein
Notizbuch. Dann hätte er vielleicht eingetragen: Gandalf, Tee,
Mittwoch. Aber gestern war er dazu viel zu verwirrt gewesen.
Kurz vor der Teezeit hörte Bilbo ein furchtbares Gebimmel an
der Haustür. Da erinnerte er sich! Er rannte zur Küche, setzte
den Teekessel auf, holte eine zweite Tasse und Untertasse und
einen oder zwei Extrakuchen und lief zur Tür. "Ich bin ganz
untröstlich, daß ich Euch warten ließ" , wollte er
sagen, als er sah, daß keineswegs Gandalf vor ihm stand. Es war
ein Zwerg mit einem blauen Bart, den er hinter den Goldgürtel
gesteckt hatte, mit leuchtenden Augen unter seiner
dunkelgrünen Kapuze. Kaum war die Tür geöffnet, so drängelte
er sich auch schon hinein, gerade als ob er erwartet worden
wäre. Er hing seinen Kapuzenmantel an den nächsten Haken,
verbeugte sich und sagte : "Dwalin, zu Euren Diensten! "
"Bilbo Beutlin, zu Euren Diensten", antwortete der Hobbit, zu
überrascht, um im Augenblick irgendwelche Fragen zu stellen.
Als die darauffolgende Pause unangenehm wurde, fügte er
hinzu: "Ich wollte gerade meinen Tee nehmen, bitte, trinkt eine
Tasse mit." Das war vielleicht ein bißchen steif, aber er meinte
es ehrlich. Und was würdet ihr tun, wenn ein uneingeladener
Zwerg plötzlich hereingeschneit käme und seine Sachen an eure
Garderobe hinge, ohne ein Wort der Erklärung.
Sie saßen nicht lange am Tisch, genauer gesagt, sie hatten es
kaum bis zum dritten Kuchen gebracht, als ein neues, noch
lauteres Gebimmel Bilbo aufschreckte.
"Entschuldigt mich!" sagte er und ging zur Tür.
"Habt Ihr schließlich doch noch hierhergefunden", wollte er
diesmal Gandalf fragen. Aber es war nicht Gandalf. Statt
Gandalf stand ein sehr ehrwürdig aussehender Zwerg auf der
Schwelle, der einen weißen Bart und eine purpurrote Kapuze
trug. Auch er trappte herein, kaum daß die Tür geöffnet war,
gerade als ob er eingeladen sei.
"Wie ich sehe, kommen sie schon an", sagte er, als er Dwalins
grüne Kapuze am Haken sah. Er hängte seine purpurrote
daneben, und: "Balin, zu Euren Diensten! " setzte er hinzu, die
Hand auf der Brust.
"Schönen Dank!" erwiderte Bilbo, der nach Luft schnappte.
Das war zwar nicht korrekt, aber "sie kommen schon - das
hatte ihn ernstlich verwirrt. Er hatte gern Besuch, aber lieber
war es ihm, wenn er den Besuch kannte, bevor er ankam. Auch
zog er es vor, Besucher selbst einzuladen. Es kam ihm der
schreckliche Gedanke, daß die Kuchen ausgehen könnten, und
dann - als Gastgeber kannte er seine Pflichten und erfüllte sie
sogar in schmerzlichen Fällen -, und dann mußte er selbst ohne
Kuchen bleiben.
"Kommt herein und trinkt einen Tee mit", brachte er dennoch
heraus, nachdem er allerdings tief Atem geholt hatte.
"Ein kleines Bier wäre mir lieber, wenn es Euch nichts
ausmacht, mein guter Herr", sagte Balin mit dem weißen Bart.
"Für Kuchen wäre ich dankbar - Kümmelkuchen, ja, das wäre
das Richtige, wenn es solchen bei Euch gibt!"
"Massenweise!" hörte sich Bilbo zu seiner eigenen
überraschung antworten. Er verschwand im Keller, um einen
Krug mit Bier zu füllen, und dann in der Speisekammer, wo er
zwei wundervolle runde Kümmelkuchen holte, die er erst diesen
Nachmittag gebacken hatte als leckere Happen zum Abendbrot.
Als er zurückkehrte, unterhielten sich Dwalin und Balin am
Tisch wie alte Freunde (tatsächlich waren sie Brüder). Bilbo
setzte das Bier und die Kuchen nicht gerade sacht vor sie hin, da
läutete die Glocke schon wieder Sturm, einmal und noch einmal.
Ja, diesmal ist es sicher Gandalf, dachte er, als er den Gang
entlangschnaufte. Aber es war nicht Gandalf. Es waren zwei
weitere Zwerge, beide mit blauen Kapuzen, silbernen Gürteln
und gelben Bärten, und jeder trug einen Sack mit Werkzeugen
und einen Spaten. Sie sprangen herein, kaum daß die Tür einen
Spalt geöffnet war. Nun, Bilbo war kaum noch überrascht.
"Was kann ich tun für euch, meine Zwerge?" fragte er.
"Kili, zu Euren Diensten", sagte der eine. "Und Fili", fügte der
andere hinzu. Damit zogen sie ihre blauen Kapuzenmäntel aus
und verbeugten sich.
"Gleichfalls : zu euren Diensten und den Diensten eurer ganzen
Familie!" erwiderte Bilbo. Diesmal erinnerte er sich
rechtzeitig an die guten Sitten.
"Ich sehe, Dwalin und Balin sind bereits hier", sagte Kili.
"Das wird hier ein schönes Gedränge heute abend geben."
Gedränge! dachte Mister Beutlin. Das ist ja ein scheußlicher
Gedanke! Ich muß mich eine Minute hinsetzen, mich erst mal
sammeln und einen kleinen Schluck nehmen! Nun, er hatte
kaum ein Schlückchen getrunken - in der Ecke, während die vier
Zwerge rund um den Tisch saßen und über Erzbergwerke und
Gold sprachen, über Verdruß mit den Orks und die
Verwüstungen der Drachen und über eine Menge anderer
Unglücksfälle, die er nicht verstand und die er auch gar nicht
verstehen wollte, denn sie klangen ihm viel zu abenteuerlich -,
als, dingdongdadingdang, seine Glocke schon wieder ging, als
ob ein nichtsnutziger Hobbitjunge versuchte, den Griff
abzureißen.
"Da ist wohl einer an der Tür", sagte er blinzelnd.
"Einer? Wahrscheinlich vier, dem Geräusch nach zu urteilen",
entgegnete Fili. "übrigens sahen wir sie hinter uns herkommen. "
Der arme kleine Hobbit setzte sich in der Halle nieder und
nahm seinen Kopf in die Hände, wunderte sich, was geschehen
war und was weiter geschehen würde und ob die Gesellschaft
sich auch noch zum Abendbrot einladen würde. Dann schellte
die Glocke lauter denn je, und er mußte zur Tür rennen. Aber es
waren nicht vier, es waren fünf Ein anderer war dazugekommen,
während Bilbo sich noch in der Halle wunderte. Er hatte kaum
den Türknopf gedreht, als auch schon alle im Gang standen, sich
verbeugten und "zu Euren Diensten" sagten, einer nach dem
anderen. Dori, Nori, Ori, Oin und Gloin waren ihre Namen, und
sehr schnell hingen zwei purpurrote Kapuzenmäntel, ein grauer,
ein brauner und ein weißer an den Haken, und die Kerle steckten
ihre breiten Hände in die goldenen und silbernen Gürtel und
gingen los, um sich mit den anderen zu vereinen.
Nun war es wirklich beinahe ein Gedränge geworden. Einige
riefen nach Bier, andere nach Porter, einer nach Kaffee und alle
nach Kuchen, so daß der Hobbit für eine Weile durchaus
beschäftigt war.
Gerade hatte er einen großen Topf Kaffee in den offenen
Kamin gesetzt, die Kuchen waren übrigens ausgegangen, und
die Zwerge hatten sich auf eine Runde schöner mit Butter
bestrichener Weizenbrötchen verlegt, da kam ein lautes Pochen.
Kein Gebimmel, sondern ein hartes Pattpatt! von der
wunderschönen grünen Tür unseres Hobbits. Irgendwer klopfte
dort mit einem Stock an!
Bilbo rannte den Gang entlang. Er war wütend und wirr
zugleich. Dies war der widerwärtigste Mittwoch, den er je erlebt
hatte. Mit einem Ruck riß er die Tür auf - da fielen sie alle
herein, einer auf den anderen. Noch mehr Zwerge, noch einmal
vier! Und da stand auch Gandalf hinter ihnen. Er lehnte sich auf
seinen Stock und lachte. Er hatte eine tiefe Delle in die
wunderschöne Tür geschlagen und auf diese Weise das
Geheimzeichen beseitigt, das er einen Morgen zuvor dort
angebracht hatte.
"Vorsichtig! Vorsichtig!" sagte er. "Das ist doch sonst nicht
Eure Art, Bilbo, Freunde warten zu lassen und dann die Tür mit
einem Ruck aufzuziehen. Laßt mich vorstellen: Bifur, Bofur,
Bombur und besonders Thorin! "
"Zu Euren Diensten", sagten Bifur, Bofur und Bombur, die
sich in einer Reihe aufgestellt hatten. Dann hängten sie zwei
gelbe und eine blaßgrüne Kapuze auf, und es war auch eine
himmelblaue mit einer langen silbernen Quaste dabei. Sie
gehörte Thorin, einem überaus berühmten Zwerg. Es war der
große Thorin Eichenschild selber, und es behagte ihm
keineswegs, daß er flach auf Bilbos Fußmatte hinplumpste und
Bifur, Bofur und Bombur auf ihn drauffielen. Denn Bombur war
ungewöhnlich fett und schwer. Thorin blieb infolgedessen sehr
kühl und sagte nicht "zu Diensten". Aber der arme Mister Beutlin
bat so oft um Entschuldigung, daß Thorin schließlich so
etwas wie "es macht fast gar nichts" brummte und sogar
aufhörte, länger ärgerlich dreinzuschauen.
"Jetzt sind wir alle hier", sagte Gandalf, schaute die Reihe der
dreizehn Kapuzen entlang - die besten Gesellschaftskapuzen
übrigens, die zur Verfügung standen - und hängte seinen
eigenen Hut an den Haken. "Eine wirklich lustige
Versammlung. Ich hoffe, es ist noch etwas zu essen und zu
trinken übrig für die Zuspätkommer. Wie, Tee? Nein, vielen
Dank! Ein bißchen Rotwein, das wäre das Richtige für mich. "
"Auch für mich", fügte Thorin hinzu.
"Und Himbeermarmelade und Apfeltörtchen", sagte Bifur.
"Und Rosinenkuchen und Käse", sagte Bofur.
"Und schöne Pasteten und Salat", ergänzte Bombur.
"Und noch ein paar Kuchen - und Bier - und Kaffee, wenn es
Euch nichts ausmacht", riefen die anderen Zwerge durch die
Tür.
"Setzt ein paar Eier auf, Ihr seid wirklich ein großartiger
Kerl", rief Gandalf hinter ihm her, als der Hobbit zu seinen
Vorratskammern ging. "Und bringt kaltes Hühnchen mit und
Essiggurken!"
Es scheint, er kennt sich besser in meiner Speisekammer aus
als ich selbst, dachte Mister Beutlin, der sich völlig überrumpelt
fühlte und sich wunderte, in welch ein elendes Abenteuer er
geradewegs in seinem eigenen Haus hineingeraten war. Mit der
Zeit hatte er sämtliche Flaschen und Schüsseln, Messer und
Gabeln, Gläser und Platten und Löffel hoch auf riesige Tabletts
gehäuft. Ihm war sehr heiß, er sah rot aus, und er war richtig
ärgerlich.
"Zum Teufel mit diesen Zwergen. rief er laut. "Warum helfen
sie nicht ein bißchen?" Jetzt traue einer seinen Augen! Da
standen Balin und Dwalin in der Küchentür und Kili und Fili
dahinter, und bevor er noch "alle Wetter!" sagen konnte, hatten
sie die Tabletts schon fortgetragen, ein paar kleine Tische ins
Empfangszimmer gesetzt, und alles war ordentlich serviert.
Gandalf saß obenan, die dreizehn Zwerge saßen ihm zur Seite.
Bilbo aber hockte auf einem Stuhl am Kamin und knabberte an
einem Keks (der Appetit war ihm ziemlich vergangen). Er
versuchte ein Gesicht aufzusetzen, als ob dies alles vollkommen
in Ordnung sei und in keiner Weise ein Abenteuer für ihn. Die
Zwerge aßen und aßen und sprachen und sprachen, und die Zeit
ging dahin. Schließlich schoben sie ihre Stühle zurück, und
Bilbo machte eine Bewegung, als wolle er die Teller und Gläser
einsammeln.
"Ich denke, ihr bleibt noch zum Abendbrot", sagte er in
seinem höflichsten und ungezwungensten Ton.
"Natürlich!" erwiderte Thorin. "Sogar noch länger. Es wird
spät werden, bis wir alle unsere Geschäfte erledigt haben. Aber
zuerst brauchen wir ein bißchen Musik. Räumt ab!"
Daraufhin sprangen zwölf Zwerge auf - ausgenommen
Thorin, der eine viel zu hochgestellte Persönlichkeit war. Er
blieb zu einem Schwatz mit Gandalf zurück. Die Zwerge
stapelten das Geschirr zu hohen Turmbauten aufeinander. Sie
warteten nicht lang auf Teebretter, sondern balancierten Türme
von Tellern (jeder mit einer Flasche obendrauf) mit einer Hand,
während der Hobbit quiekend vor Furcht hinter ihnen herlief :
"Bitte, seid vorsichtig! Bitte, bemüht euch nicht, ich mache das
gern allein!"
Aber die Zwerge begannen zu singen : "Schmeißt mit Tellern,
soviel euch paßt, biegt die Messer und Gabeln krumm, tut, was
Bilbo Beutlin haßt, verbrennt die Korken, haut Flaschen um!
Pikt ins Tischtuch und tretet ins Fett, gießt die Milch auf den
Küchenflur! Knochen im Bett sind besonders nett, gießt den
Wein in die Kuckucksuhr! Jetzt die Gläser in den Müll hinein,
stampft drauf, stampft und mit Gesang! Sind die Schüsseln nicht
kurz und klein, kegelt sie munter den Gang entlang! Alles, was
Bilbo Beutlin haßt! Hört ihn bloß : Vorsichtig angefaßt!"
Natürlich machten sie nichts so Gräßliches, sondern spülten
das ganze Geschirr und stellten es sauber weg, schnell wie der
Blitz, während der Hobbit sich in der Mitte der Küche um sich
selbst drehte und versuchte, sie dabei zu beaufsichtigen.
Dann kehrten sie zurück und fanden Thorin mit den Füßen auf
dem Kamingitter eine Pfeife rauchen.
Dabei blies er die riesigsten Ringe in die Luft und befahl
ihnen zu fliegen, wohin er wollte. Manche stiegen den Kamin
hinauf oder hinter die Uhr auf dem Kaminsims, andere krochen
unter den Tisch oder zogen unter der Decke immer im Kreis
herum. Wohin die Ringe auch schwebten, so waren sie doch nie
schnell genug, um Gandalf zu entkommen. Pop! Schon sandte er
einen kleineren Rauchring aus seiner kurzen Tonpfeife
geradewegs durch jeden von Thorins Ringen. Dann schien sich
Gandalfs Rauchring über den Spaß zu freuen. Er kam zurück
und schwebte eine Weile über des Zauberers Haupt. Er hatte
schon eine ganze Wolke von solchen Ringen über sich, und das
ließ ihn in der Tat sehr zauberisch aussehen. Bilbo stand stumm
dabei und sah zu. Er liebte Rauchringe. Aber er errötete bei dem
Gedanken, wie stolz er gestern morgen auf jene Rauchringe
gewesen war, die er mit dem Wind hinaus und über den Berg
gesandt hatte.
"Jetzt ein bißchen Musik", sagte Thorin. "Packt eure
Instrumente aus!"
Kili und Fili liefen zu ihren Rucksäcken und brachten kleine
Fiedeln. Dori, Nori und Ori holten Flöten aus den
unergründlichen Taschen ihr er Kapuzenmäntel. Bombur holte
eine Trommel aus der Halle.
Bifur und Bofur gingen ebenfalls hinaus und kamen mit
Klarinetten zurück, die sie bei den Spazierstöcken abgestellt
hatten. Dwalin und Balin sagten: "Entschuldigung, unsere
Instrumente liegen noch vor der Tür."
"Dann bringt auch meines mit!" rief Thorin ihnen zu. Sie
kamen zurück mit Bratschen, die größer als sie selbst waren,
und mit Thorins in grünes Tuch eingeschlagener Harfe. Es war
eine wunderbare goldene Harfe, und als Thorin sie schlug,
begann die Musik so plötzlich und süß, daß Bilbo alles andere
vergaß. Er wurde in dunkle Lande hinweggeführt, unter
seltsame Monde, weit fort über das Wasser, sehr weit von seiner
Hobbithöhle unter dem Berg entfernt.
Das Dunkel drang durch die kleinen Fenster, die in die Flanke
des Berges eingelassen waren, in den Raum. Das Feuer
flackerte. Es war April. Und noch immer spielten sie, während
der Schatten von Gandalfs Bart unruhig über die Wände
geisterte.
Die Dunkelheit füllte den ganzen Raum, und das Feuer
verlöschte. Die Schatten ertranken, und immer noch spielten sie.
Plötzlich begann erst einer, dann ein anderer, während sie
weiterspielten, einen tiefen, kehligen Gesang von Zwergen in
den verborgenen Landschaften ihrer alten Heimat. Und dies sind
gleichsam Bruchstücke ihres Liedes, wenn es ohne Musik und
Reim überhaupt ihrem Gesange gleichen kann : "Weit über die
kalten Nebelberge, zu den tiefen Verliesen und uralten Höhlen
müssen wir fort, ehe der Tag anbricht, das bleiche verzauberte
Gold suchen.
Die Zwerge der grauen Zeiten wußten mächtigen Zauber,
während die Hämmer wie klingende Glocken erklangen, im
Unterirdischen, wo die dunklen Geheimnisse schlafen, in den
großen Höhlen unter den kahlen Hügeln.
Für vergessene Könige und Elfenfürsten schufen sie
gleißende, güldene Schätze, schmiedeten, schafften, fingen das
Licht ein in den Edelsteinen dunkler Schwertgriffe.
Auf silberne Halsketten reihten sie glitzernde Sterne auf, in
Kronen fingen sie Drachenfeuer ein, in geflochtenen Drähten
verstrickten sie das Licht von Mond und Sonne.
Weit über die kalten Nebelberge müssen wir fort, ehe der Tag
anbricht, zu den tiefen Verliesen und uralten Höhlen und unser
lang vergessenes Gold suchen.
Die Kiefern rauschten auf der Höhe, und die Winde stöhnten
in der Nacht.
Das Feuer war rot und barst wie ein Glutball.
Die Bäume brannten hell wie Fackeln.
Dann tosten die Glocken unten im Tal, und die Menschen
schauten mit fahlen Gesichtern herauf : der Zorn des Drachen
entbrannte noch heller als Feuer, brach die Türme nieder und die
zerbrechlichen Häuser.
Und der Berg rauchte unter dem Mond, und die Zwerge
hörten den Schritt des Schicksals.
Sie flohen aus ihrer Halle, um sterbend zu fallen, unter
Drachentatzen, unter dem Mond.
Weit über die grimmigen Nebelberge, zu den tiefen Verliesen
und düsteren Hallen müssen wir fort, ehe der Tag anbricht, und
unsere Harfen, unser Gold heimholen. "
Während sie so sangen, verspürte der Hobbit in sich die Liebe
zu den wunderbaren Schätzen, die mit soviel Mühe und
Geschick geschaffen worden waren, und wie durch einen Zauber
entstand in ihm ein wütender, gieriger Wunsch, der auch die
Herzen der Zwerge erfüllte. Gleichzeitig erwachte etwas von der
Tukseite in ihm. Er sehnte sich danach, hinauszuziehen und die
großen Gebirge zu sehen und die Kiefern und Wasserfälle
rauschen zu hören, die Höhlen auszukundschaften und ein
Schwert zu tragen statt eines Spazierstocks. Er schaute aus dem
Fenster. Die Sterne standen an einem schwarzen Himmel hoch
über den Bäumen. Er dachte an die Juwelen der Zwerge, die in
dunklen Gewölben schimmerten. Plötzlich sprang am Horizont
jenseits des Wassers eine große Flamme auf (vielleicht hatte
jemand ein Feuer entzündet), und er mußte an plündernde
Drachen denken, die sich auf seinem ruhigen Berg niederließen
und alles in Flammen erstickten. Da schauderte es ihn, und sehr
schnell war er wieder Mister Beutlin von Beutelsend (Unter dem
Berg).
Zitternd stand er auf. Gern wollte er die Lampe holen. Aber
noch lieber wäre er unter diesem Vorwand nur hinausgegangen;
dann hätte er sich hinter den Bierfässern im Keller versteckt und
wäre erst hervorgekommen, wenn alle Zwerge auf und davon
waren. Plötzlich merkte er, daß die Musik und der Gesang
aufgehört hatten und daß sie ihn alle anschauten mit Augen, die
im Dunkeln schimmerten.
"Wohin wollt Ihr?" fragte Thorin in einem Ton, der
anzuzeigen schien, daß er unseres Hobbits Absichten erraten
hatte.
"Wie wäre es mit einem bißchen Licht?" sagte Bilbo
entschuldigend.
"Wir lieben die Dunkelheit", antworteten die Zwerge.
"Dunkelheit für die dunklen Geschäfte! Bis zur Dämmerung
sind es noch viele Stunden. "
"Natürlich", sagte Bilbo und setzte sich rasch wieder hin. Er
verfehlte aber den Stuhl und setzte sich auf das Kamingitter,
wobei er mit einem Krach den Schürhaken und die Schaufel
umwarf.
"Ruhe!" sagte Gandalf. "Hört jetzt Thorins Rede!" Und
Thorin begann: "Gandalf, Zwerge und Mister Beutlin! Wir
haben uns im Hause unseres Freundes und Mitverschwörers
zusammengefunden, dieses ausgezeichneten und wagemutigen
Hobbits - mögen die Haare an seinen Zehen niema ls ausfallen!
Alles Lob seinem Wein und seinem Bier!" Er machte eine
Atempause, um dem Hobbit Gelegenheit zu einer höflichen
Bemerkung zu geben. Aber seine Höflichkeit war gänzlich
verloren, denn der arme Bilbo Beutlin machte nur protestierend
seinen Mund auf und zu. Man hatte ihn wagemutig genannt und
noch schlimmer: Mitverschwörer. Aber Bilbo bekam nicht
einmal ein Krächzen heraus, so verstört war er.
Also fuhr Thorin fort : "Wir sind zusammengekommen, um
unsere Pläne, unsere Wege, unsere Mittel, unsere Politik und
unsere Listen zu besprechen. Wir wollen bald, noch ehe der Tag
anbricht, unsere lange Reise beginnen, eine Reise, von der
einige von uns oder vielleicht sogar alle (ausgenommen
natürlich unser Freund und Ratgeber, der erfindungsreiche
Zauberer Gandalf) nie mehr zurückkehren werden. Es ist ein
feierlicher Augenblick. Unsere Absicht, das darf ich annehmen,
ist allen wohlbekannt. Für den hochehrenwerten Mister Beutlin,
aber auch für den einen oder anderen von den jüngeren Zwergen
(ich denke hier beispielsweise an Kili und Fili) erfordert unsere
augenblickliche Lage einige kürzere Erläuterungen..."
Dies war Thorins Stil. Er war eine berühmte
Zwergenpersönlichkeit. Hätte man es erlaubt, so wäre er in
diesem Stil vermutlich fortgefahren, bis er die Puste verloren
hätte - ohne irgendwem irgend etwas zu erzählen, das er nicht
längst schon wußte. Aber er wurde mitleidslos unterbrochen.
Der arme Bilbo konnte es nicht länger ertragen. Bei dem Wort
"nie mehr zurückkehren" spürte er einen Schrei in sich
aufsteigen, und sehr bald brach er aus wie das Pfeifen einer
Lokomotive, die aus einem Tunnel herauskommt. Alle Zwerge
sprangen auf und stießen dabei den Tisch um. Gandalf
entzündete ein blaues Licht am Ende seines Zauberstabes, und
in seinem Gefunkel konnte man den armen Hobbit auf dem
Kaminvorleger knien sehen, wabbelig wie Sülze, die zu
schmelzen beginnt. Dann fiel er platt auf den Boden und rief in
einem fort: "Vom Blitz erschlagen, vom Blitz erschlagen!" Und
das war alles, was sie für eine lange Weile aus ihm
herausbringen konnten. Sie nahmen ihn auf und brachten ihn
hinüber ins Wohnzimmer, legten ihn auf das Sofa, stellten ihm
etwas zu trinken hin und kehrten zurück zu ihren dunklen
Geschäften.
"Ein erregbarer kleiner Bursche", sagte Gandalf, als sie sich
wieder niedergesetzt hatten. "Er bekommt komische, verrückte
Anwandlungen. Aber er ist einer der Besten, einer der Besten -
wütend wie ein Drache in der Klemme."
Wenn ihr jemals einen Drachen in der Klemme gesehen habt,
so werdet ihr feststellen, daß dies eine höchst poetische
übertreibung in bezug auf einen Hobbit war. Das hätte selbst auf
des alten Tuks Urgroßonkel Stierbrüller nicht gepaßt, der (für
einen Hobbit) so groß war, daß er ein Pferd besteigen konnte.
Der griff die Reihen der Kobolde am Berg Gram in der Schlacht
auf den Grünen Feldern an und schlug ihrem König Golfimbul
mit einer hölzernen Keule glatt den Kopf ab. Der Kopf aber
segelte 100 Meter weit durch die Luft und fiel in ein
Kaninchenloch. Und auf diese Weise wurde im gleichen
Augenblick sowohl die Schlacht gewonnen als auch das
Golfspiel erfunden.
Wie dem auch immer sei, Stierbrüllers zahmerer Abkömmling
kam in seinem Wohnzimmer wieder zu sich. Nach einer
gewissen Weile und einem kleinen Trunk kroch er aufgeregt zur
Tür des Empfangszimmers. Da hörte er Gloin folgendes sagen:
"Humph!" (oder ein mehr oder weniger ähnliches Räuspern)
"Glaubt ihr, daß er es schaffen wird. Für Gandalf ist es leicht zu
behaupten, dieser Hobbit sei wütend. Aber ein Schrei wie dieser,
wer weiß in welchem Augenblick der Erregung, würde genügen,
den Drachen und seine ganze Sippschaft aufzuwecken und uns
alle ums Leben zu bringen. Ich meine, es klang viel mehr nach
Furcht als nach Erregung! Tatsache, wenn nicht das Zeichen an
der Tür gewesen wäre, so hätte ich bestimmt geglaubt, daß ich
in ein falsches Haus gekommen bin. Sobald ich einen Blick auf
diesen kleinen Burschen geworfen hatte, der auf der Fußmatte
herumhopste, da hatte ich meine Zweifel. Er sieht mehr nach
einem Krämer als nach einem Meisterdieb aus."
Da drehte Mister Beutlin den Türknopf und trat ein. Die
Tukseite hatte gewonnen. Er spürte, daß er ohne Bett und
Frühstück losziehen konnte, ja, sie sollten sehen, daß er wütend
und kampfhungrig war. Und was den kleinen Burschen anging,
der auf seiner Fußmatte herumhopste, so machte ihn das
wirklich wütend. Noch lange später bedauerte der Beutlin, was
er jetzt tat. Und er sagte zu sich: Bilbo, du warst ein Verrückter.
Du bist mit offenen Augen in dein Unglück gestolpert!
"Verzeiht", sagte er nämlich, "wenn ich einiges mit angehört
habe. Ich verstehe zwar nicht, worüber ihr euch unterhalten
habt, verstehe auch nicht eure Bemerkung über Meisterdiebe,
aber ich nehme an, daß ich richtig vermute (und das nannte er
Würde bewahren) - daß ihr mich für untauglich haltet.
Ich werde es euch zeigen. Ich habe keine Zeichen an meiner
Tür, sie wurde erst vor einer Woche gestrichen -, und ich bin
ganz sicher, daß ihr in das falsche Haus gekommen seid. Sobald
ich eure merkwürdigen Gesichter auf der Türschwelle sah, hatte
ich meine Zweifel. Aber betrachtet es nunmehr als das richtige
Haus. Erzählt mir, was ihr getan haben wollt, und ich werde es
versuchen, selbst wenn ich bis zum Ende der Welt marschieren
und mit den Lindwürmern in der letzten Wüste kämpfen müßte.
Ich hatte einen Ur-Ur-Ur-Großonkel! Stierbrüller Tuk."
"Ja, gewiß, aber das ist lange her", sagte Gloin. "Ich sprach
von Euch. Und ich versichere Euch, daß ein Zeichen an der Tür
war - das übliche im Geschäftsleben: ,Meisterdieb sucht gute
Arbeit mit viel Aufregungen und gegen angemessenen Lohn`.
So ist dieses Zeichen ja gewöhnlich zu verstehen. Ihr könnt auch
Bewährter Schatzjäger an Stelle von Meisterdieb sagen, wenn
das Euch besser gefällt.
Mancher tut es auch, aber für uns ist es ein und dasselbe.
Gandalf erzählte uns, daß es hier in dieser Gegend einen solchen
Mann gäbe, der gerade einen derartigen Posten sucht, und daß er
eine Zusammenkunft hier für diesen Mittwoch nachmittag
arrangiert habe."
"Natürlich ist das Zeichen da", sagte Gandalf, "ich habe es
selbst angebracht. Aus gutem Grund. Ihr batet mich, den
vierzehnten Mann für eure Expedition zu finden, und ich wählte
Mister Beutlin. Es soll mir bloß einer sagen, ich hätte den
falschen Mann oder das falsche Haus ausgesucht, und ihr könnt
euch mit dreizehn abfinden, könnt eurem Mißgeschick in die
Arme laufen oder zurückgehen und wieder Kohlen kratzen. "
Er runzelte die Stirn so fürchterlich, daß Gloin sich rasch in
seinen Stuhl drückte, und als Bilbo den Mund öffnen wollte, um
eine Frage zu stellen, drehte er sich um, starrte auc h ihn an, und
seine buschigen Augenbrauen streckten sich so weit vor, daß
Bilbo den Mund zuschnappen ließ. "In Ordnung", sagte Gandalf.
"Keine Auseinandersetzungen mehr. Ich habe Mister Beutlin
ausgewählt, und das sollte euch genügen. Wenn ich sage, er ist
ein Meisterdieb, dann ist er ein Meisterdieb oder wird einer sein,
wenn die Zeit dazu kommt. Es steckt eine Menge mehr in ihm,
als ihr meint, und eine Menge mehr, als er selbst es ahnt.
Wahrscheinlich werdet ihr mir alle noch einmal dankbar dafür
sein.
Nun, Bilbo, mein Junge, holt die Lampe und laßt ein bißchen
Licht darauf fallen. "
Im Schein der Lampe mit dem roten Schirm breitete er auf
dem Tisch ein Stück Pergament aus, das wie eine Karte aussah.
"Dies hat Euer Großvater angefertigt, Thorin", entgegnete er
auf die aufgeregten Fragen der Zwerge.
"Es ist ein Plan des Berges."
"Mir scheint, das wird uns nicht viel helfen", sagte Thorin
enttäuscht nach einem kurzen Blick auf das Pergament. "Ich
erinnere mich gut genug an den Berg und die Länder in seiner
Umgebung, und ich weiß, wo der Nachtwald ist und die
Verwitterte Heide, wo die großen Drachen hausen. "
"Da ist oben auf dem Berg rot ein Drache eingezeichnet" ,
meinte Balin, "aber es dürfte nicht schwerfallen, ihn auch ohne
diesen Plan zu finden, wenn wir jemals dort oben ankommen. "
"Da ist jedoch ein Punkt, den Ihr nicht bemerkt habt", sagte
Gandalf, "und das ist der geheime Eingang: Seht Ihr diese Rune
auf der Westseite und die Hand, die von den anderen Runen her
darauf hinzeigt? Das bedeutet einen verborge nen Zugang zu den
unteren Gewölben. "
"Kann sein, daß dieser Zugang irgendwann einmal geheim
war", entgegnete Thorin, "aber wie können wir wissen, ob er
noch immer geheim ist? Der alte Smaug hat dort lange genug
gelebt, um alles herauszufinden, was es über diese Gewölbe
herauszufinden gibt."
"Möglich - aber er kann seit Jahr und Tag mit diesem Zugang
nichts anfangen. "
"Warum?"
"Weil der Eingang zu klein ist. Fünf Fuß hoch die Tür, und
drei passen nebeneinander, sagen die Runen. Aber Smaug
konnte in ein solches Loch nicht hineinkriechen, selbst nicht, als
er noch ein Jungdrache war, gewiß aber nicht, nachdem er so
viele Zwerge und Menschen aus dem Tal gefressen hat."
"Mir scheint es aber doch ein sehr großes, mächtiges Loch zu
sein", quiekte Bilbo, der keine Erfahrung mit Drachen hatte und
sich nur auf Hobbithöhlen verstand. Er war schon wieder
aufgeregt und sehr interessiert, so daß er völlig vergaß, den
Mund zu halten. Landkarten mochte er sehr gern. In seiner Halle
hing eine große Karte von der Umgebung, in die mit roter Tinte
all seine Lieblingswege eingezeichnet waren. "Wie sollte, sehen
wir einmal vom Drachen ab, eine solch große Tür draußen
unbemerkt geblieben sein?" fragte er. Er war nur ein kleiner
Hobbit, vergeßt das nicht.
"Da gibt es Möglichkeiten ge nug", sagte Gandalf. "Aber auf
welche Weise gerade dieser Zugang verborgen gehalten wurde,
das werden wir, ohne an Ort und Stelle nachzuschauen, nicht
herausfinden. Der Karte nach zu urteilen, gibt es dort eine
verschlossene Tür, die so angefertigt wurde, daß sie genau wie
der Berg selbst aussieht. So macht man das doch bei den
Zwergen, nicht wahr?"
"Genauso", antwortete Thorin.
"Auch vergaß ich zu erwähnen", fuhr Gandalf fort, "daß mit
der Karte ein Schlüssel auf uns kam, ein alter und merkwürdiger
Schlüssel. Hier ist er", sagte er und händigte Thorin einen
silbernen Schlüssel mit einem langen Stiel und einem
komplizierten Bart aus. "Verwahrt ihn sicher!"
"Das werde ich", erwiderte Thorin und befestigte ihn an einer
dicken Kette, die unter dem Rock um seine n Hals hing.
"Jetzt sieht alles schon hoffnungsvoller aus. Bisher hatte ich
keine klare Vorstellung, was zu tun ist.
Wir wollten, so schnell und vorsichtig wie möglich, nach
Osten bis zum Langen See ziehen. Danach würden die
Schwierigkeiten beginnen.... "
"Schon eine ganze Zeit vorher, wenn ich über die Wege recht
unterrichtet bin", unterbrach ihn Gandalf.
"Wir könnten von dort aufwärts dem Eiligen Wasser folgen",
fuhr Thorin fort, der von Gandalfs Bemerkung keine Notiz
nahm, "bis zu den Ruinen von Dal, der alten Stadt im Tal am
Fuße des Berges.
Aber keiner von uns denkt gern an das Haupttor. Der Fluß
kommt unmittelbar aus ihm heraus und schießt durch die großen
Klippen südlich des Berges. Aber aus diesem Haupttor kommt
auch der Drache heraus, viel zu oft, wenn er nicht seine
Gewohnheiten geändert hat."
"Das würde zu keinem guten Ende führen", sagte der
Zauberer, "jedenfalls nicht ohne einen mächtigen Krieger oder
einen richtigen Helden. Ich versuchte, einen zu finden, aber die
Krieger bekämpfen sich eifrig untereinander, und in unserer
Gegend sind Helden selten geworden, oder es gibt sie überhaupt
nicht mehr. Die Schwerter sind bei uns gewöhnlich voller
Scharten, die _xte braucht man zum Bäumefällen, die Schilde
als Säuglingswiegen und Topfdeckel, und die Drachen sind
angenehm weit weg (und deshalb nur noch Fabeltiere). Darum
habe ich mich auf die Meisterdieberei verlegt, besonders, weil
ich mich an das Seitentor erinnerte. Und hier ist unser kleiner
Bilbo Beutlin, der Meisterdieb, der auserwählte und berufene
Meisterdieb. Jetzt weiter, laßt uns Pläne machen. "
"Gut also", sagte Thorin, "ich vermute, daß der Meisterdieb
uns einige seiner Ideen und Vorschläge unterbreiten will." Er
wandte sich mit spöttischer Höflichkeit an Bilbo Beutlin.
"Zunächst wüßte ich gern ein bißchen mehr über die ganze
Angelegenheit", sagte Bilbo und war sehr verwirrt und innerlich
ein bißchen unsicher. Aber immer noch bestimmte ihn die
Tukseite dazu, sich weiter mit der Angelegenheit zu befassen.
"Ich meine, über das Gold und den Drachen und wie er das
bekommen hat und wem es gehört."
"Donnerwetter sagte Thorin. "Habt Ihr Euch nicht die Karte
angesehen? Und habt Ihr nicht unser Lied gehört? Und haben
wir nicht seit Stunden darüber diskutiert?"
"Trotzdem würde ich es gern klar und deutlich hören" , sagte
er eigensinnig und setzte seine Geschäftsmiene auf (sonst nur
für Leute bestimmt, die Geld von ihm leihen wollten). Er tat sein
Bestes, um klug und berufstüchtig zu erscheinen und um
Gandalfs Empfehlung gerecht zu werden.
"Außerdem müßte ich Bescheid wissen über das Risiko, über
die Nebenausgaben, die benötigte Zeit, die Belohnung usw.!" -
womit er meinte: Was bekomme ich selbst dafür, und kehre ich
überhaupt lebendig zurück?.
"Oh, sehr gut", erwiderte Thorin. "Sehr lange ist es her, daß in
den Tagen meines Großvaters unsere Familie aus dem fernen
Norden vertrieben wurde. Sie kam mit all ihren Reichtümern
und ihren Werkzeugen zu diesem Berge hier auf der Karte.
Dann gruben meine Vorfahren und trieben Stollen vor und
machten hohe Gewölbe und große Werkstätten - und ich glaube,
daß sie auch eine ganze Menge Gold und viele Edelsteine dabei
fanden. Jedenfalls wurden sie ungewöhnlich reich und berühmt,
und mein Großvater wurde König unter dem Berge. Ja, er wurde
mit großer Hochachtung von den Menschen behandelt, die im
Süden lebten und sich allmählich das Eilige Wasser hinauf bis
dorthin ausbreiteten, wo das Tal vom Berge überschattet war.
Sie bauten dort in jenen Tagen die fröhliche Stadt Dal. Könige
riefen unsere Schmiede an ihre Höfe, und selbst für die weniger
Geschickten war die Belohnung überreich. Väter baten uns, ihre
Söhne als Lehrlinge einzustellen, und bezahlten uns ordentlich,
besonders mit Lebensmitteln. Wir brauchten uns daher nicht
mehr damit abzumühen, das Gemüse selbst anzubauen. Alles
zusammengenommen : Es waren gute Tage für uns, und selbst
der _rmste hatte Geld genug auszugeben und zu verleihen, hatte
Muße, wunderbare Arbeiten rein zum Spaß herzustellen, gar
nicht zu reden von den hübschen Zauberspielzeugen, die bis auf
den heutige n Tag nirgendwo anders auf der Welt mehr zu finden
sind. So wurden die Gewölbe meines Großvaters mit Rüstungen
und Edelsteinen gefüllt, mit Schnitzereien und Bechern, und die
Spielzeugläden von Dal waren ein Anblick, den man nicht mehr
vergaß.
Zweifellos lockte gerade das den Drachen an. Drachen stehlen
Gold und Edelsteine, wie Ihr wißt, bestehlen Menschen und
Elben und Zwerge, wo auch immer sie etwas finden können.
Und sie hüten ihren Raub, solange sie leben (und das ist
praktisch ewig, wenn sie nicht umgebracht werden). Dabei
erfreuen sie sich nicht einmal an einem Messingring. Es ist
schon so : Sie können kaum ein gutes Werkstück von einem
schlechten unterscheiden, obwohl sie gewöhnlich eine sehr gute
Nase für seinen Verkaufspreis haben. Aber sie können nichts
selbst machen, nicht einmal eine lose Schuppe an ihrem
Schuppenpanzer befestigen. Nun, in jenen Tagen gab es eine
Menge Drachen im Norden.
Wahrscheinlich wurde das Gold dabei knapp. Die Zwerge
flohen nach Süden oder wurden getötet, und die allgemeine
Verwüstung und Verheerung, die die Drachen anrichteten,
wandte alles vom Schlechten zum Schlechteren. Unter ihnen gab
es einen besonders gierigen, starken und verschlagenen
Drachen, Smaug genannt. Eines Tages flog er auf und kam nach
Süden. Das erste, was wir von ihm hörten, war ein Lärm wie
von einem wilden Sturm, der aus dem Norden heranwirbelte.
Die Bergkiefern krachten und zerbrachen im Sturm. Einige
Zwerge, die das Glück hatten, draußen zu sein (und ich war
einer von den glücklichen, ein prächtiger draufgängerischer
Bursche in jenen Tagen, immerzu auf Wanderschaft, und das
rettete mir an diesem Tage das Leben) - gut also, aus
angemessener Entfernung sahen wir, wie der Drache sich auf
unserem Berg in einer riesigen Flamme niederließ.
Dann kam er den Hang herab, und als er die Wälder erreichte,
da gingen sie in Flammen auf. In dieser Stunde läuteten alle
Glocken in Dal. Die Krieger rüsteten sich, die Zwerge stürzten
aus dem großen Tor - aber dort wartete der Drache auf sie. Auf
diesem Weg entkam keiner. Der Fluß zerkochte in weißem
Dampf, ein dichter Nebel senkte sich auf Dal herab, und da fiel
auch schon der Drache über die Krieger her und vernichtete die
meisten - es war das übliche unglückselige Geschick, nur zu
üblich in jenen Tagen. Dann ging Smaug zurück und kroch
durch das Haupttor und stöberte in allen Hallen und Gängen, in
Stollen und Gäßchen, in Kellern, Wohnungen und Durchgängen
umher. Danach war im Berginnern kein Zwerg mehr am Leben,
und er nahm all ihre Reichtümer in Besitz.
Wahrscheinlich, denn das ist Drachengewohnheit, hat Smaug
alles tief in der Erde auf einen großen Haufen gestapelt und
schläft darauf wie auf einem Bett. Später kroch er oft aus dem
großen Tor heraus, kam bei Nacht nach Dal und schleppte Leute
weg, besonders Jungfrauen, um sie aufzufressen - bis Dal
zerstört und alles Volk tot oder geflohen war. Was jetzt dort
vorgeht, weiß ich nicht. Aber ich vermute, daß heutzutage
niemand näher am Berge wohnt als am äußersten Ende des
Langen Sees.
Die wenigen von uns, die draußen waren, verbargen sich und
weinten und verfluchten Smaug.
Plötzlich stießen eines Tages mein Vater und mein Großvater
mit versengten Bärten zu uns. Sie sahen sehr grimmig aus,
sagten aber sehr wenig. Wenn ich sie fragte, wie sie
herausgekommen wären, bedeuteten sie mir, ich solle meine
Zunge hüten, und sie sagten, daß ich eines Tages zur rechten
Zeit alles wissen würde. Danach zogen wir fort. Wir mußten
unser Leben fristen, so gut wir konnten, da und dort in den
Ländern. Oft genug sanken wir bis zum Hufschmied hinab, oder
wir mußten sogar in die Kohlenbergwerke gehen. Aber niemals
haben wir unseren gestohlenen Schatz vergessen. Und gerade
jetzt, da ich mir erlauben darf zu sagen, daß wir eine ganz
schöne Menge beiseite gelegt haben und daß es uns durchaus
nicht schlecht geht" Thorin strich über die goldene Kette, die um
seinen Hals hing, "hoffen wir noch immer, ihn zurückzuerhalten
und unsere Flüche über Smaug zu bringen - falls es uns
verstattet ist.
Ich habe mich oft über die Flucht meines Vaters und meines
Großvaters gewundert. Jetzt sehe ich, daß sie eine Nebentür
benutzten, die nur ihnen allein bekannt war. Augenscheinlich
zeichneten sie auch eine Karte. Doch jetzt möchte ich wissen,
wie Gandalf sich ihrer bemächtigte und warum sie nicht auf
mich, den rechtmäßigen Erben, gekommen ist."
"Ich habe mich nicht ihrer bemächtigt", sagte Gandalf. "Sie
wurde mir gegeben. Euer Großvater wurde getötet, wie Ihr Euch
erinnert, von einem Ork in den Bergwerken von Moria."
"Verflucht sei der Ork", warf Thorin ein.
"Und Euer Vater ging am 21. April, am letzten Donnerstag
vor hundert Jahren, fort, und Ihr habt ihn seitdem nicht mehr
gesehen. "
"Wahr, wahr", sagte Thorin.
"Gut. Euer Vater gab mir für Euch dies. Und wenn ich meine
eigene Zeit und meine eigene Weise dazu wählte, so könnt Ihr
mir kaum am Zeug flicken. Bedenkt die Schwierigkeiten, die ich
hatte, um Euch zu finden! Euer Vater konnte sich nicht einmal
an seinen eigenen Namen erinnern, als er mir das Pergament
übergab, und Euren Namen konnte er mir auch nicht sagen.
Richtig betrachtet, denke ich, daß man mich loben und daß man
mir danken müßte! Hier ist die Karte." Damit händigte er sie
Thorin aus.
"Ich verstehe das nicht", sagte Thorin, und Bilbo hätte am
liebsten dasselbe gesagt, denn die Erklärung schien nichts zu
erklären.
"Euer Großvater", fuhr der Zauberer verärgert fort, "gab die
Karte aus Sicherheitsgründen seinem Sohn, bevor er in die
Bergwerke von Moria ging. Nachdem Euer Großvater getötet
worden war, ging Euer Vater fort, denn er wollte sein Glück mit
der Karte versuchen. Er hatte eine Menge von höchst
unerfreulichen Abenteuern, aber niemals kam er an den Berg
heran. Wie er schließlich in das Verlies des Geisterbeschwörers
gekommen ist, wo ich ihn gefangen fand, das weiß ich nicht."
"Was habt Ihr denn dort getan?" fragte Thorin mit einem
Schauder, und alle Zwerge bekamen eine Gänsehaut.
"Das braucht Ihr nicht zu wissen. Ich mußte etwas
auskundschaften, wie gewöhnlich, und es war ein
widerwärtiges, gefährliches Geschäft. Selbst ich, Gandalf, bin
gerade noch mit heiler Haut davongekommen. Ich wollte Euren
Vater retten. Aber es war zu spät. Er war ohne Verstand, redete
irre und hatte fast alles vergessen, ausgenommen die Karte und
den Schlüssel."
"Wir haben es vor langer Zeit den Orks von Moria
heimgezahlt", sagte Thorin. "Jetzt wäre es an der Zeit, dem
Geisterbeschwörer eine Lehre zu erteilen. "
"Redet kein dummes Zeug! Das ist ein Geschäft, das die
Kräfte aller Zwerge weit überschreitet, selbst wenn sie einer aus
allen vier Enden der Welt zusammenrufen würde. Das einzige,
was Euer Vater wünschte, war, daß Ihr die Karte lesen und den
Schlüssel benutzen sollt. Drache und Berg sind mehr als große
Aufgaben für Euch! "
"Hört. Hört!" warf Bilbo ein, und zufällig sagte er es laut.
"Hört was?" fragten sie alle und wandten sich Bilbo plötzlich
zu. Er wurde darüber so verwirrt, daß er sagte: "Hört, was ich
euch zu sagen habe!"
"Gern. Und was wäre das?" fragten sie.
"Also, paßt auf, ich würde sagen, daß ihr nach Osten gehen
und euch einmal dort umschauen solltet.
Schließlich gibt es da eine Nebentür, und Drachen sollen
manchmal schlafen, vermute ich. Wenn ihr lange genug dort auf
der Türschwelle sitzt, so möchte ich annehmen, daß euch etwas
einfällt. Und nun gut, meint ihr nicht auch, daß wir für eine
Nacht lange genug gesprochen haben, wenn ihr versteht, was ich
damit meine? Was haltet ihr von einem Bett und von einem
frühen Aufbruch? Ich werde euch ein gutes Frühstück geben,
bevor ihr auszieht."
"Bevor wir ausziehen, das meint Ihr doch sicher", sagte
Thorin. "Seid Ihr nicht der Meisterdieb? Und ist das Sitzen auf
der Türschwelle dort nicht Euer Geschäft, gar nicht vom
Hineingehen zu sprechen?
Aber was Bett und Frühstück betrifft, so stimme ich zu. Ich
habe sechs Eier mit Schinken gern, wenn ich eine Reise beginne
- aber fein gebraten, keine gerührten Eier! Und laßt sie bloß
nicht auslaufen!"
Nachdem auch alle anderen ihr Frühstück ohne das geringste
"Bitteschön" bestellt hatten (was Bilbo sehr verärgerte), standen
sie auf. Der Hobbit mußte Platz für alle schaffen, und er füllte
seine Gastzimmer und machte Betten auf Stühlen und Sofas, bis
er jeden verstaut hatte. Dann legte er sich in sein eigenes kleines
Bett und war sehr müde und nicht gerade glücklich. Eines stand
jedoch für ihn fest - mit dem Aufstehen und mit der Zubereitung
des lumpigen Frühstücks wollte er sich nicht allzusehr beeilen.
Die Tukseite brauchte sich auf, und er war jetzt gar nicht mehr
sicher, daß er am nächsten Morgen auf Reisen gehen würde.
Wie er so in seinem Bett lag, konnte er Thorin nebenan im
besten Schlafzimmer still vor sich hin summen hören: "Weit
über die kalten Nebelberge, zu den tiefen Verliesen und uralten
Höhlen müssen wir fort, ehe der Tag anbricht, unser lang
vergessenes Gold suchen. "
Dies in den Ohren, schlief Bilbo ein, und es bescherte ihm
recht unangenehme Träume. Es war lang nach Tagesanbruch,
als er aufwachte.
Gebratenes Hammelfleisch
Bilbo sprang auf, zog seinen Morgenrock an und ging in das
Speisezimmer. Dort sah er niemand, fand jedoch alle Zeichen
eines ausgedehnten, aber eiligen Frühstücks. In dem Zimmer
war ein Durcheinander zum Fürchten, und Haufen von
ungespültem Geschirr standen in der Küche; fast alle Töpfe und
Pfannen, die er besaß, schienen gebraucht zu sein. Der
Aufwasch war traurige Tatsache.
Bilbo mußte einsehen, daß die Gesellschaft der Nacht zuvor
keineswegs einem Alptraum entsprungen war, wie er fast
gehofft hatte. Nach allem war er sogar erleichtert bei dem
Gedanken, daß die ungebetenen Gäste ohne ihn fortgegangen
waren und ihn nicht einmal geweckt hatten (aber ohne ein
Dankeschön, dachte Bilbo). Er fühlte sich ein bißchen
enttäuscht. Und dies Gefühl überraschte ihn. Sei kein Narr,
Bilbo Beutlin! sagte er zu sich selbst. In deinem Alter an
Drachen und all den ausländischen Unsinn zu denken! So band
er sich eine Schürze um, machte Feue r, ließ Wasser kochen und
wusch auf. Dann verzehrte er ein hübsches kleines Frühstück in
der Küche, bevor er das Speisezimmer auskehrte. Die Sonne
schien, die Haustür stand offen und ließ eine warme
Frühlingsbrise herein. Bilbo begann laut zu pfeifen und die
vergangene Nacht zu vergessen. Gerade hatte er sich im
Speisezimmer am offenen Fenster zu einem kleinen zweiten
Frühstück niedergesetzt, als Gandalf hereinkam.
"Mein lieber Junge", sagte er, "wann gedenkt Ihr eigentlich zu
kommen? Wie war das mit dem frühen Aufbruch? Und hier sitzt
Ihr nun beim Frühstück, oder wie Ihr es nennt, um halb elf! Sie
haben Euch doch eine Nachricht hinterlassen, weil sie nicht
warten konnten. "
"Eine Nachricht?" fragte der arme Mister Beutlin ganz
verwirrt.
"Du lieber Himmel!" antwortete Gandalf. "Ich kenne Euch
nicht wieder. Habt Ihr denn den Kaminsims noch nicht
abgestaubt?"
"Was hat das damit zu tun? Ich habe genug mit dem Abwasch
für vierzehn zu schaffen gehabt!"
"Hättet Ihr den Kaminsims abgestaubt, so hättet Ihr dies hier
unter der Uhr gefunden", sagte Gandalf und übergab Bilbo einen
Brief (der natürlich auf Bilbos eigenem Briefpapier geschrieben
war). Da war folgendes zu lesen: "Thorin & Companie grüßen
den Meisterdieb Bilbo! Für Eure Gastfreundschaft unseren
aufrichtigen Dank, und für Euer Angebot beruflicher
Hilfeleistung unsere freundliche Annahme. Bedingungen:
Auszahlung bei Ablieferung. Der Betrag darf den 14. Teil des
Gesamtgewinns, wenn es überhaupt welchen geben sollte,
erreichen, darf ihn aber keinesfalls überschreiten, alle
Reisekosten in jedem Falle garantiert; Begräbniskosten werden
von uns oder unseren Vertretern getragen, falls sich die
Notwendigkeit ergeben sollte und die Angelegenheit nicht auf
andere Weise geregelt werden kann. Da wir es nicht für
notwendig erachten, Eure hochgeschätzte Ruhe zu stören, sind
wir vorausgegangen, um unsere Vorbereitungen zu treffen, und
werden Eure geachtete Persönlichkeit beim Gasthaus, Zum
grünen Drachen` zu Wassernach Punkt elf erwarten. Hoffend,
daß Ihr pünktlich sein werdet, haben wir die Ehre zu verbleiben
Eure sehr verbundene Thorin & Co."
"Das läßt Euch gerade noch zehn Minuten. Ihr müßt laufen",
bemerkte Gandalf.
"Aber -", sagte Bilbo.
"Keine Zeit dafür", sagte der Zauberer.
"Aber ich - ", fing Bilbo noch einmal an.
"Auch dafür keine Zeit! Ihr müßt losgehen. "
Bis zum Ende seiner Tage konnte Bilbo sich nicht erinnern,
wie er herausgekommen war, ohne Hut, ohne Spazierstock und
ohne Geld, ohne irgend etwas, das er gewöhnlich mit sich nahm,
wenn er ausging. Sein zweites Frühstück ließ er halb beendet
und das Geschirr ungespült. Die Schlüssel drückte er Gandalf in
die Hand, und dann rannte er, so schnell wie seine bepelzten
Füße ihn den Weg hinuntertrugen, an der großen Mühle vorbei
über das Wasser und dann eine ganze Meile weiter oder mehr.
Er schnaufte mächtig, als er Wassernach genau auf den
Glockenschlag elf erreichte. Und dabei entdeckte er, daß er ohne
Taschentuch unterwegs war!
"Bravo!" sagte Balin, der an der Wirtshaustür nach ihm
Ausschau gehalten hatte.
Gerade in diesem Augenblick kamen die anderen um die
Wegkehre vom Dorf her. Sie saßen auf Ponys, und jedes Pony
war bepackt mit allen möglichen Gepäckstücken, Paketen,
Bündeln und Ausrüstungsgegenständen. Es war auch ein sehr
kleines Pony dabei, augenscheinlich für Bilbo.
"Auf, ihr zwei, und los geht's!" sagte Thorin. "Es tut mir
schrecklich leid, entgegnete Bilbo, "aber ich bin ohne Hut
gekommen, habe mein Taschentuch vergessen und kein Geld
eingesteckt. Um genau zu sein: Ich habe euren Brief erst nach
10.45 Uhr bekommen. "
"Ihr braucht nicht genau zu sein", sagte Dwalin, "und sorgt
Euch nicht deshalb! Ihr werdet auch ohne Taschentücher und
ohne manches andere zurechtkommen, bevor das Ende der Reise
erreicht ist. Und was den Hut angeht, so habe ich einen
überzähligen Kapuzenmantel in meinem Gepäck."
So nahm die Reise ihren Anfang. Sie trotteten mit ihren
beladenen Ponys an einem schönen Morgen kurz vor dem 1.
Mai vom Wirtshaus los. Bilbo trug eine dunkelgrüne Kapuze
(sie war ein bißchen verschossen) und einen dunkelgrünen
Mantel, den Dwalin ihm geliehen hatte. Beides war ein bißchen
weit für ihn, und er sah ziemlich komisch darin aus. Was hätte
sein Vater Bungo gesagt - ich wage nicht, es auszudenken.
Bilbos einzige Beruhigung war, daß er nicht mit einem Zwerg
verwechselt werden konnte, denn er trug keinen Bart.
Sie waren noch nicht sehr lang geritten, als Gandalf auf einem
prächtigen weißen Pferd erschien. Er hatte eine Masse
Taschentücher mitgebracht und Bilbos Pfeife und Tabak dazu.
So ritt die Gesellschaft in bester Stimmung weiter. Man erzählte
einander Geschichten und sang Lieder. Den ganzen Tag über
wurde geritten, ausgenommen natürlich, wenn man der
Mahlzeiten wegen anhielt. Diese jedoch gab es durchaus nicht
so oft, wie Bilbo es gern gesehen hätte. Aber immerhin kam es
ihm vor, als ob Abenteuer schließlich doch nicht so schlimm
wären, wie er angenommen hatte.
So ging es eine ganze Weile. Ein ausgedehnter Landstrich
mußte durchquert werden, der von einem achtbaren Volk
bewohnt wurde, von Menschen, Hobbits, Elben und was weiß
ich von wem sonst noch.
Die Wege waren gut, es gab auch ein paar Gasthäuser, und
hin und wieder traf man einen Zwerg, einen Kesselflicker oder
einen Bauern, die ihren Geschäften nachgingen. Aber nach einer
gewissen Zeit gelangten sie in eine Gegend, wo die Leute
sonderbar sprachen und Lieder sangen, die Bilbo nie zuvor
gehört hatte. Die Gasthäuser wurden rar und waren gar nicht
gut, und die Wege wurden immer schlechter. Höher und höher
erhoben sich die Berge. Auf einigen standen Burgen, denen man
ansah, daß sie zu bösen Zwecken erbaut worden waren. Auch
das Wetter, das bisher so schön gewesen war, wie es der Mai
sonst nur in fröhlichen Geschichten ist, schlug um, und es wurde
geradezu scheußlich.
"Dabei haben wir morgen den ersten Juni", brummte Bilbo,
während er hinter den anderen in einer sehr schmutzigen Spur
einherpatschte. Teezeit war vorüber. Es goß in Strömen, und es
hatte den ganzen Tag über schon so gegossen. Von der Kapuze
tropfte es ihm in die Augen, der Mantel hatte sich voll Wasser
gesogen, das Pony war müde und stolperte über die Steine, und
die anderen waren viel zu brummig, um zu sprechen. Ich bin
sicher, daß der Regen bis in die Kleider gegangen ist und in die
Verpflegungstaschen, dachte Bilbo. Verflixte Meisterdieberei
und alles, was damit zu tun hat! Ich wünschte, ich wäre zu
Hause in meiner hübschen Höhle beim Kaminfeuer, wenn
gerade der Kessel anfängt zu summen! Es war nicht das letzte
Mal, daß er sich das wünschte. Die Zwerge trotteten weiter,
keiner drehte sich um, keiner nahm vom Hobbit Notiz. Hinter
den grauen Bergen mußte die Sonne untergegangen sein, denn
es wurde dunkel. Wind kam auf, und die Weiden am Flussufer
beugten sich und seufzten. Ich weiß nicht, was für ein Fluß es war.
Er floß sehr rasch und war erdigrot; die Regengüsse der letzten Tage
hatten ihn stark anschwellen lassen. Er kam herab aus dem Gebirge,
das vor ihnen lag.
Es war beinahe Nacht. Der Wind riß die grauen Wolken auf,
und zwischen den fliegenden Wolkenfetzen erschien der Mond
über den Bergen. Sie hielten an, und Thorin brummte etwas von
Abendessen und "wo sollen wir einen trockenen Fleck zum
Schlafen finden? "
Bisher hatten sie nicht bemerkt, daß Gandalf verschwunden
war. Er war den ganzen Weg bei ihnen gewesen. Kein Wort
hatte er darüber verlauten lassen, ob er am Abenteuer
teilzunehmen gedachte oder ob er ihnen nur für eine Weile
Gesellschaft leisten wollte. Er hatte am meisten gegessen, am
meisten erzählt und am meisten gelacht. Und nun war er einfach
nicht mehr da. "Ausgerechnet wenn ein Zauberer am
nützlichsten sein könnte", maulten Dori und Nori (die des
Hobbits Ansichten über regelmäßige, zahlreiche und
ausführliche Mahlzeiten teilten).
Endlich beschlossen sie, daß sie ihr Lager hier an Ort und
Stelle errichten wollten. Sie zogen zu einer Baumgruppe, unter
der es zwar ein bißchen trockener war, aber der Wind schüttelte
den Regen von den Blättern, und das Drippdripp war höchst
störend und unerfreulich. Auch schien das Unglück ins Feuer q.
gefahren zu sein. Zwerge können überall und aus allem Feuer
machen, mit Wind oder ohne Wind. Aber in dieser Nacht gelang
es ihnen nicht. Selbst Oin und Gloin nicht, die darin besonders
gut waren.
Dann bekam eines der Ponys vor einem Nichts einen Schreck
und ging durch. Es sprang in den Fluß, bevor sie es fangen
konnten. Und bevor sie es wieder herausholen konnten, waren
Fili und Kili beinahe ertrunken, und das ganze Gepäck, das das
Pony getragen hatte, wurde vom Strom weggerissen.
Ausgerechnet ihre Verpflegung war darin; es blieb ihnen sehr
wenig für das Abendessen und noch weniger für das Frühstück
übrig.
Da saßen sie klamm und naß und laut brummend, während
Oin und Gloin es noch einmal mit dem Feuer versuchten und
sich dabei in die Haare gerieten. Bilbo dachte gerade traurig
darüber nach, daß Abenteuer durchaus nicht nur Spazierritte auf
dem Pony im Maisonnenschein waren, als Balin, der stets den
Ausguck übernahm, herüberrief: "Da droben ist ein Licht!" Sie
lagerten nicht weit von einem Berg, der teilweise dicht bewaldet
war. Zwischen den dunklen Stämmen konnte man ein Licht
scheinen sehen, ein rötliches, sehr angenehm aussehendes Licht,
vielleicht ein Feuer oder eine flackernde Fackel.
Nachdem sie eine Weile hingeschaut hatten, begannen sie zu
streiten. Einige sagten nein, und andere sagten ja. Einige sagten,
wer wollte, könnte ja gehen und nachschauen, und das wäre am
Ende besser als wenig Abendbrot und noch weniger Frühstück
und nasse Kleider die ganze Nacht.
Wieder andere sagten: "Diese Landstriche sind nicht genug
erforscht. Sie liegen zu nahe am Gebirge.
Reisende kommen nicht so weit, die alten Karten taugen
nichts, und die Straße ist unbewacht. Man hat auch noch gar
nichts von dem König hierherum gehört, und je weniger genau
einer hinschaut, wenn er hier durchzieht, desto weniger Verdruß
wird er haben." Einige sagten: "Schließlich sind wir vierzehn."
Andere fragten: "Wohin ist Gandalf verschwunden?" Diese
Bemerkung wurde von allen wiederholt. Dann begann der
Regen herabzurauschen, schlimmer denn je, und Oin und Gloin
gerieten sich abermals in die Wolle.
Das gab den Ausschlag. "Wie es auch sei : Wir haben einen
Meisterdieb bei uns", sagten sie. Und so machten sie sich auf
und führten ihre Ponys (mit aller gebührenden Vorsicht) auf den
Lichtschein zu.
Sie kamen an den Fuß des Berges und waren bald im Wald.
Sie gingen den Berg hinauf, aber es war kein ordentlicher Pfad
zu sehen, der vielleicht zu einem Haus oder zu einem Bauernhof
hätte führen können. Sie taten, was sie konnten, und machten
doch allerhand Krach, Geraschel und Geknarre, als sie zwischen
den Bäumen in pechschwarzer Nacht dahinzogen (und ein gut
Teil Murren und Fluchen kam auch dazu).
Plötzlich schimmerte das rote Licht ganz hell und gar nicht
weit vor ihnen durch die Bäume.
"Jetzt ist unser Meisterdieb an der Reihe" sprachen sie und
schauten Bilbo an.
"Geht los und kundschaftet dieses Licht aus, seht zu, warum
es leuchtet und ob dort alles sicher und ohne Gefahr ist", sagte
Thorin zu dem Hobbit. "Geht jetzt und kommt rasch zurück,
falls alles in Ordnung ist. Wenn nicht, dann kommt zurück, falls
Ihr könnt! Falls es aber nicht geht, dann heult zweimal lang wie
eine Schleiereule und einmal kurz wie eine Baumeule, und dann
wollen wir tun, was wir können. "
Bilbo mußte losgehen, bevor er erklären konnte, daß er
überhaupt wie keine einzige Eulensorte zu heulen verstand.
Ebensogut hätte man verlangen können, er solle wie eine
Fledermaus fliegen. Aber wie dem auch sei, Hobbite können
sich lautlos in den Wäldern vorwärts bewegen. Sie sind stolz
darauf. Mehr als einmal hatte Bilbo schon verächtlich über das
geschnauft, was er den "Zwergenspektakel" nannte, wenn die
Kerle so dahertapsten - obgleich weder ihr noch ich in einer
solch stürmischen Nacht irgend etwas vernommen hättet, nicht
einmal, wenn die ganze Gesellschaft in zwei Schritt Entfernung
vorübergerumpelt wäre. Bilbo pirschte sich also an den roten
Lichtschein heran, und nicht einmal einem Wiesel zuckte ein
Schnurrbarthaar. Bilbo ging geradewegs auf das Feuer zu - denn
ein Feuer war es -, ohne irgendwen aufzustören. Und dies sah
unser Hobbit: Drei mächtig große Kerle saßen rund um ein
gewaltiges Feuer aus Buchenstämmen. Sie brieten
Hammelfleisch an langen hölzernen Bratspießen und leckten das
Fett von ihren Fingern. Ein außerordentlich wohltuender Duft
stach ihm in die Nase. Auch stand ein Faß mit einem guten
Tropfen neben ihnen, und die Kerle tranken aus Krügen. Es
waren augenscheinlich Trolle. Selbst Bilbo, trotz seines bisher
wohlgeordneten Lebens, konnte das sehen: an den groben
Gesichtern, an ihrer Größe, an der Länge ihrer Beine - nicht zu
erwähnen ihre Sprache, die keineswegs gepflegt war.
Keineswegs.
"Hammelfleisch gestern, Hammelfleisch heute, und
verdammich, wenn es nicht morgen auch nach Hammelfleisch
riecht", sagte einer von den Trollen.
"Seit langem haben wir nicht einen winzigen Fetzen
Menschenfleisch gegessen", sagte der zweite.
"Was zur Hölle hat Bill sich dabei gedacht, als er Uns in diese
Gegend brachte. Und noch schlimmer: Das Gesöff wird auch
schon alle." Dabei stieß er Bill, der gerade einen tiefen Zug aus
dem Krug tat, am Ellbogen an. Bill verschluckte sich. "Halt dein
Maul!" sagte er, sobald er die Sprache wiederfand.
"Ihr könnt doch nicht erwarten, daß die Leute hierbleiben und
von dir und Bert gefressen werden wollen. Mittlerweile habt ihr
zusammen eineinhalb Dörfer gefressen, seit wir aus dem
Gebirge herunterkamen. Wieviel wollt ihr denn noch fressen? Es
wäre längst an der Zeit gewesen, für einen solch netten fetten
Hammelbrocken, wie dies einer war, danke schön zu sagen!"
Dabei riß er einen ordentlichen Fetzen von der Hammelkeule,
die er gerade röstete, und wischte sich den Mund am _rmel ab.
Ja, es ist schlimm, Trolle benehmen sich nun einmal so, selbst
diejenigen, die nur einen Kopf haben.
Nachdem Bilbo das erlauscht hatte, hätte er eigentlich sofort
etwas ur1ternehmen müssen. Entweder hätte er geräuschlos
zurückgehen und seine Freunde warnen müssen, daß hier drei
ausgewachsene Trolle in unangenehmer Laune saßen, Burschen,
die gewiß gern einmal gebratene Zwerge oder zur Abwechslung
wenigstens Ponys versuchen würden. Oder er hätte rasch eine
vernünftige Dieberei ausführen müssen. Ein wirklich
erstklassiger und berühmter Meisterdieb hätte an seiner Stelle
wohl etwas aus den Trolltaschen herausstibitzt - das lohnt sich
fast immer - oder das Hammelfleisch von den Bratspießen
gestohlen, das Bier entwendet und sich dann unbemerkt
zurückgezogen. Andere, mehr praktisch denkende, aber weniger
berufsstolze Leute würden jedem der Kerle vielleicht einen
Dolch zwischen die Rippen gesetzt haben - ehe sie überhaupt
etwas merkten. Und dann hätte man die Nacht angenehm
verbringen können.
Bilbo wußte es. Er hatte eine Menge Dinge gelesen, die er
niemals gesehen oder selbst getan hatte.
Jetzt aber war er sehr beunruhigt und ebenso entrüstet. Er
wünschte sich hundert Meilen fort. Und doch - irgendwie
brachte er es nicht übers Herz, stracks mit leeren Händen zu
Thorin und seinen Gesellen zurückzugehen. So stand er im
Schatten und zögerte. Da ihm von den verschiedenen
Diebesgeschäften, von denen er gehört hatte, das Ausnehmen
von Trolltaschen das am wenigsten schwierige schien, kroch er
zuletzt hinter den Baum, vor dem Bill saß. Bert und Tom gingen
ans Faß.
Und Bill tat einen neuen kräftigen Zug. Da nahm Bilbo all
seinen Mut zusammen und steckte seine kleine Hand in Bills
riesige Tasche. Es war eine Geldbörse darin, für Bilbo so groß
wie ein Sack. Ha! dachte er, als er die Börse vorsichtig
herausholte - und seine neue Arbeit gefiel ihm dabei schon
bedeutend besser -, das ist ein schöner Anfang.
Und das war er auch! Trollbörsen sind nämlich ein Unglück ,
und diese war keine Ausnahme. "Hier bin ich, wer seid Ihr?"
quiekte sie, als sie aus der Tasche herausgezogen wurde, und
Bill drehte sich sofort um und griff Bilbo beim Nacken. "Teufel,
Bert, sieh dir an, was ich gegriffen habe. rief Bill.
"Was ist es denn?" fragten die anderen und kamen heran.
"Na, wenn ich s selbst wüßte. He, wer bist du? "
"Bilbo Beutlin, ein Meister - ein Hobbit", sagte der arme
Bilbo, klapperte mit den Zähnen und überlegte, wie er einen
Eulenruf ausstoßen konnte, bevor sie ihn erdrosselten.
"Ein Meisterhobbit?" fragten sie, ein bißchen erschrocken.
Trolle sind schwer von Begriff und sehr mißtrauisch allem
Neuen gegenüber.
"Was zum Teufel hat aber ein Meisterhobbit mit meiner
Tasche zu tun?" fragte Bill.
"Kann man den wohl kochen?" meinte Tom.
"Du kannst es ja versuchen", entgegnete Bert und nahm einen
kleinen Bratspieß auf.
"Er wird kaum einen Mundvoll geben", beschwichtigte Bill,
der sich bereits ein ausgezeichnetes Abendessen einverleibt
hatte. "Jedenfalls nicht, wenn Haut und Gräten weg sind."
"Vielleicht läuft noch mehr von dem Zeug hier herum, und
wir können Gehacktes machen", sagte Bert.
"He, du, kriechen da noch mehr von deiner Sorte in den
Wäldern herum, du schmutziges kleines Kaninchen?" fragte er
und schaute auf die braunen Pelzfüße des Hobbits. Er griff ihn
bei den Zehen und schüttelte ihn.
"Ja, massenweise, schrie Bilbo, bevor er sich daran erinnerte,
daß man seine Freunde nicht preisgeben darf. "Nein, kein
einziger, nicht ein einziger", sagte er sofort hinterher.
"Was meinst du eigentlich?" drohte Bert und hob ihn diesmal
an den Haaren hoch.
"Genau was ich sage", entgegnete Bilbo keuchend. "Und bitte,
kocht mich nicht, meine werten Herren! Ich bin selber ein guter
Koch und koche bestimmt besser, als wenn ihr mich kocht.
Hoffentlich versteht ihr, wie ich das meine. Ich will wunderbar
für euch kochen, ihr sollt ein ganz großartiges Frühstück haben,
wenn ihr mich bloß nicht jetzt zum Abendessen verspeist."
"Arme Kröte", sagte Bill (ich berichtete schon, daß er bereits
so viel Abendbrot gegessen hatte, wie sein Magen es gerade
noch vertrug; außerdem hatte er sich eine Riesenmenge Bier
einverleibt).
"Arme Kröte! Laßt sie hopsen. "
"Nicht eher, als bis er sagt, was er mit ,massenweise und nicht
ein einziger` meint", erwiderte Bert.
"Ich lege keinen Wert darauf, daß mir jemand im Schlaf die
Kehle durchschneidet. Halt seine Zehen ins Feuer, bis er
spricht."
"Das will ich nicht", sagte Bill. "Ich hab ihn gegriffen!"
"Du bist ein dicker Esel, Bill", entgegnete Bert, "das hab ich
heute abend schon einmal gesagt."
"Und du bist ein Lümmel. "
"Und das laß ich mir von dir nicht gefallen, Bill Huggins",
schrie Bert und schlug Bill mit der Faust ins Auge.
Dann gab es eine prächtige Keilerei. Bilbo hatte gerade noch
so viel Verstand, daß er, als sie ihn auf die Erde fallen ließen,
aus dem Bereich ihrer Füße kroch. Und dann verbissen sich die
beiden wie stützte sich auf seinen Stock und betrachtete den
Hobbit, ohne ein Wort zu sagen, bis es Bilbo ungemütlich und er
sogar ein bißchen ärgerlich wurde.
"Guten Morgen!" sagte Bilbo schließlich. "Wir wollen hier
keine Abenteuer, vielen Dank! Ihr könnt es hinter dem Berg
oder jenseits des Wassers versuchen!" Damit meinte er, die
Unterhaltung wäre beendet.
"Was Ihr nicht alles unter 'guten Morgen' versteht", sagte
Gandalf "Jetzt meint Ihr, daß Ihr mich damit loswerden könntet,
daß es gut wäre, wenn ich verschwände."
"Keineswegs, keineswegs, mein bester Herr - wie heißt Ihr
eigentlich? "
"Ja freilich, mein bester Herr! Ich weiß sehr gut, w ie Ihr heißt,
Mister Bilbo Beutlin. Und Ihr kennt auch meinen Namen,
obgleich Ihr nicht ahnt, daß ausgerechnet ich dazu gehöre : Ich
bin Gandalf, und Gandalf, denkt nur, das bin ich! Reizend, daß
Belladonnas Sohn mich mit einem 'Guten Morgen'
wegscheuchen will, als ob ich Knöpfe an der Tür verkaufte!"
"Gandalf, Gandalf. Du lieber Himmel, doch nicht der
wandernde Zauberer, der dem alten Tuk ein Paar magischer
Diamantklammern verehrte, die sich von selbst schlossen und
sich niemals ohne Befehl lösten? Keiner verstand es wie er,
beim Kaffeetrinken solch wunderbare Geschichten über
Drachen zu erzählen, über Kobolde und Riesen, über gerettete
Prinzessinnen und über das unvorhergesehene Glück von
Söhnen armer Witwen. Doch nicht Gandalf, der so
ausgezeichnete Feuerwerke abzubrennen verstand! Ja, daran
erinnere ich mich! Der alte Tuk arrangierte sie zur
Sommersonnenwende. Großartig, toll! Sie schossen auf wie
mächtige Lilien, wie Löwenmaul und Goldregen aus Feuer. Den
ganzen Abend noch hingen sie in der Dämmerung." Ihr werdet
schon gemerkt haben, daß Mister Beutlin nicht ganz so
prosaisch war, wie er es von sich selbst annahm.
überdies war er in Blumen geradezu vernarrt. "Meine Güte",
fuhr er fort, "doch nicht der Gandalf, der es auf dem Gewissen
hat, daß so viele brave Burschen und Mädchen einfach ins Blaue
gingen, verrückte Abenteuer zu erleben. Beim Bäumeklettern
angefangen bis zur Reise auf Schiffen, die hinüber zur anderen
Seite segelten? Der Himmel sei mir gnädig, so ein Leben schien
aber - ich meine, Ihr habt in dieser Gegend allerhand
angerichtet. Ich bitte um Verzeihung, aber ich hatte keine
Ahnung, daß Ihr noch immer solchen Unfug macht."
"Was soll ich denn sonst machen?" sagte der Zauberer.
"Und ich bin froh, daß Ihr Euch noch an einiges erinnert. Ihr
scheint beispielsweise meine Feuerwerke in gutem Andenken
behalten zu haben, und das ist gewiß nicht ohne Hoffnung. In
der Tat, um Eures seligen Großvaters Tuk und der armen
Belladonna willen gebe ich Euch gern, um was Ihr mich gebeten
habt."
"Verzeihung, habe ich denn um.etwas gebeten? "
"Natürlich habt Ihr! Zweimal sogar: Um meine Verzeihung
habt Ihr gebeten. Die gebe ich Euch. Und außerdem gehe ich
sogar noch weiter und schicke Euch in dies besagte Abenteuer.
Das ist sehr erheiternd für mich und ausgezeichnet für Euch und
nützlich ist es außerdem - das heißt, wenn Ihr es wohlbehalten
übersteht."
"Tut mir leid. Ich wünsche keine Abenteuer. Vielen Dank,
und heute schon gar nicht. Guten Morgen, mein Herr! Aber
bitte, kommt zum Tee, jederzeit, wie es Euch paßt - warum nicht
morgen? Auf Wiedersehen!" Damit drehte sich der Hobbit um,
verschwand hinter der runden grünen Tür und schloß sie, so
schnell er es, ohne unhöflich zu erscheinen, wagen konnte, denn
Zauberer sind schließlich Zauberer.
Warum in aller Welt bat ich ihn bloß zum Tee! sagte er vor
sich hin, als er in die Speisekammer ging.
Zwar hatte er gerade gefrühstückt, aber er dachte, daß ein
Kuchen oder zwei und ein Schluck dazu ihm guttäten nach
diesem Schrecken.
Gandalf stand inzwischen noch immer vor der Tür und lachte
lange und leise. Nach einer Weile trat er näher, und mit der
Stockspitze kratzte er ein wunderliches Zeichen auf die' schöne
grüne Haustür.
Dann zog er davon, gerade als der Hobbit seinen zweiten
Kuchen beendet hatte und erleichtert aufatmete, weil er glaubte,
daß er nun glücklich alle Abenteuer vermieden hätte.
Am nächsten Tag hatte er Gandalf fast vergessen. Ein gutes
Gedächtnis war nicht seine Stärke, es sei denn, er benutzte sein
Notizbuch. Dann hätte er vielleicht eingetragen: Gandalf, Tee,
Mittwoch. Aber gestern war er dazu viel zu verwirrt gewesen.
Kurz vor der Teezeit hörte Bilbo ein furchtbares Gebimmel an
der Haustür. Da erinnerte er sich! Er rannte zur Küche, setzte
den Teekessel auf, holte eine zweite Tasse und Untertasse und
einen oder zwei Extrakuchen und lief zur Tür.
"Ich bin ganz untröstlich, daß ich Euch warten ließ" , wollte er
sagen, als er sah, daß keineswegs Gandalf vor ihm stand. Es war
ein Zwerg mit einem blauen Bart, den er hinter den Goldgürtel
gesteckt hatte, mit leuchtenden Augen unter seiner
dunkelgrünen Kapuze. Kaum war die Tür geöffnet, so zum
Abendbrot einladen würde. Dann schellte die Glocke lauter denn
je, und er mußte zur Tür rennen. Aber es waren nicht vier, es
waren fünf Ein anderer war dazugekommen, während Bilbo sich
noch in der Halle wunderte. Er hatte kaum den Türknopf
gedreht, als auch schon alle im Gang standen, sich verbeugten
und "zu Euren Diensten" sagten, einer nach dem anderen. Dori,
Nori, Ori, Oin und Gloin waren ihre Namen, und sehr schnell
hingen zwei purpurrote Kapuzenmäntel, ein grauer, ein brauner
und ein weißer an den Haken, und die Kerle steckten ihre
breiten Hände in die goldenen und silbernen Gürtel und gingen
los, um sich mit den anderen zu vereinen.
Nun war es wirklich beinahe ein Gedränge geworden. Einige
riefen nach Bier, andere nach Porter, einer nach Kaffee und alle
nach Kuchen, so daß der Hobbit für eine Weile durchaus
beschäftigt war.
Gerade hatte er einen großen Topf Kaffee in den offenen
Kamin gesetzt, die Kuchen waren übrigens ausgegangen, und
die Zwerge hatten sich auf eine Runde schöner mit Butter
bestrichener Weizenbrötchen verlegt, da kam ein lautes Pochen.
Kein Gebimmel, sondern ein hartes Pattpatt! von der
wunderschönen grünen Tür unseres Hobbits. Irgendwer klopfte
dort mit einem Stock an!
Bilbo rannte den Gang entlang. Er war wütend und wirr
zugleich. Dies war der widerwärtigste Mittwoch, den er je erlebt
hatte. Mit einem Ruck riß er die Tür auf - da fielen sie alle
herein, einer auf den anderen. Noch mehr Zwerge, noch einmal
vier! Und da stand auch Gandalf hinter ihnen. Er lehnte sich auf
seinen Stock und lachte. Er hatte eine tiefe Delle in die
wunderschöne Tür geschlagen und auf diese Weise das
Geheimzeichen beseitigt, das er einen Morgen zuvor dort
angebracht hatte.
"Vorsichtig! Vorsichtig!" sagte er. "Das ist doch sonst nicht
Eure Art, Bilbo, Freunde warten zu lassen und dann die Tür mit
einem Ruck aufzuziehen. Laßt mich vorstellen: Bifur, Bofur,
Bombur und besonders Thorin! "
"Zu Euren Diensten", sagten Bifur, Bofur und Bombur, die
sich in einer Reihe aufgestellt hatten. Dann hängten sie zwei
gelbe und eine blaßgrüne Kapuze auf, und es war auch eine
himmelblaue mit einer langen silbernen Quaste dabei. Sie
gehörte Thorin, einem überaus berühmten Zwerg. Es war der
große Thorin Eichenschild selber, und es behagte ihm
keineswegs, daß er flach auf Bilbos Fußmatte hinplumpste und
Bifur, Bofur und Bombur auf ihn drauffielen. Denn Bombur war
ungewöhnlich fett und schwer. Thorin blieb infolgedessen sehr
kühl und sagte nicht "zu Diensten". Aber der arme Mister
Beutlin bat so oft um Entschuldigung, daß Thorin schließlich so
etwas wie "es macht fast gar nichts" brummte und sogar
aufhörte, länger ärgerlich dreinzuschauen.
"Jetzt sind wir alle hier", sagte Gandalf, schaute die Reihe der
dreizehn Kapuzen entlang - die besten Gesellschaftskapuzen
übrigens, die zur Verfügung standen - und hängte seinen
eigenen Hut an den Haken. "Eine wirklich lustige
Versammlung. Ich hoffe, es ist noch etwas zu essen und zu
trinken übrig für die Zuspätkommer. Wie, Tee? Nein, vielen
Dank! Ein bißchen Rotwein, das wäre das Richtige für mich. "
"Auch für mich", fügte Thorin hinzu.
"Und Himbeermarmelade und Apfeltörtchen", sagte Bifur.
"Und Rosinenkuchen und Käse", sagte Bofur.
"Und schöne Pasteten und Salat", ergänzte Bombur.
"Und noch ein paar Kuchen - und Bier - und Kaffee, wenn es
Euch nichts ausmacht", riefen die anderen Zwerge durch die
Tür.
"Setzt ein paar Eier auf, Ihr seid wirklich ein großartiger
Kerl", rief Gandalf hinter ihm her, als der Hobbit zu seinen
Vorratskammern ging. "Und bringt kaltes Hühnchen mit und
Essiggurken! "
Es scheint, er kennt sich besser in meiner Speisekammer aus
als ich selbst, dachte Mister Beutlin, der sich völlig überrumpelt
fühlte und sich wunderte, in welch ein elendes Abenteuer er
geradewegs in seinem eigenen Haus hineingeraten war. Mit der
Zeit hatte er sämtliche Flaschen und Schüsseln, Messer und
Gabeln, Gläser und Platten und Löffel hoch auf riesige Tabletts
gehäuft. Ihm war sehr heiß, er sah rot aus, und er war richtig
ärgerlich.
"Zum Teufel mit diesen Zwergen. rief er laut. "Warum helfen
sie nicht ein bißchen?" Jetzt traue einer seinen Augen! Da
standen Balin und Dwalin in der Küchentür und Kili und Fili
dahinter, und bevor er noch "alle Wetter!" sagen konnte, hatten
sie die Tabletts schon fortgetragen, ein paar kleine Tische ins
Empfangszimmer gesetzt, und alles war ordentlich serviert.
Gandalf saß obenan, die dreizehn Zwerge saßen ihm zur Seite.
Bilbo aber hockte auf einem Stuhl am Kamin und knabberte an
einem Keks (der Appetit war ihm ziemlich vergangen). Er
versuchte ein Gesicht aufzusetzen, als ob dies alles vollkommen
in Ordnung sei und in keiner Weise ein Abenteuer für ihn. Die
Zwerge aßen und aßen und sprachen und sprachen, und die Zeit
ging dahin. Schließlich schoben sie ihre Stühle zurück, und
Bilbo machte eine Bewegung, als wolle er die Teller und Gläser
einsammeln.
"Ich denke, ihr bleibt noch zum Abendbrot", sagte er in
seinem höflichsten und ungezwungensten Ton. sind gleichsam
Bruchstücke ihres Liedes, wenn es ohne Musik und Reim
überhaupt ihrem Gesange gleichen kann : "Weit über die kalten
Nebelberge, zu den tiefen Verliesen und uralten Höhlen müssen
wir fort, ehe der Tag anbricht, das bleiche verzauberte Gold
suchen.
Die Zwerge der grauen Zeiten wußten mächtigen Zauber,
während die Hämmer wie klingende Glocken erklangen, im
Unterirdischen, wo die dunklen Geheimnisse schlafen, in den
großen Höhlen unter den kahlen Hügeln.
Für vergessene Könige und Elfenfürsten schufen sie
gleißende, güldene Schätze, schmiedeten, schafften, fingen das
Licht ein in den Edelsteinen dunkler Schwertgriffe.
Auf silberne Halsketten reihten sie glitzernde Sterne auf, in
Kronen fingen sie Drachenfeuer ein, in geflochtenen Drähten
verstrickten sie das Licht von Mond und Sonne.
Weit über die kalten Nebelberge müssen wir fort, ehe der Tag
anbricht, zu den tiefen Verliesen und uralten Höhlen und unser
lang vergessenes Gold suchen.
Die Kiefern rauschten auf der Höhe, und die Winde stöhnten
in der Nacht.
Das Feuer war rot und barst wie ein Glutball.
Die Bäume brannten hell wie Fackeln.
Dann tosten die Glocken unten im Tal, und die Menschen
schauten mit fahlen Gesichtern herauf : der Zorn des Drachen
entbrannte noch heller als Feuer, brach die Türme nieder und die
zerbrechlichen Häuser.
Und der Berg rauchte unter dem Mond, und die Zwerge
hörten den Schritt des Schicksals.
Sie flohen aus ihrer Halle, um sterbend zu fallen, unter
Drachentatzen, unter dem Mond.
Weit über die grimmigen Nebelberge, zu den tiefen Verliesen
und düsteren Hallen müssen wir fort, ehe der Tag anbricht, und
unsere Harfen, unser Gold heimholen. "
Während sie so sangen, verspürte der Hobbit in sich die Liebe
zu den wunderbaren Schätzen, die mit soviel Mühe und
Geschick geschaffen worden waren, und wie durch einen Zauber
entstand in ihm ein wütender, gieriger Wunsch, der auch die
Herzen der Zwerge erfüllte. Gleichzeitig erwachte etwas von der
Tukseite in ihm. Er sehnte sich danach, hinauszuziehen und die
großen Gebirge zu sehen und die Kiefern und Wasserfälle
rauschen zu hören, die Höhlen auszukundschaften und ein
Schwert zu tragen statt eines Spazierstocks. Er schaute aus dem
Fenster. Die Sterne standen an einem schwarzen Himmel hoch
über den Bäumen. Er dachte an die Juwelen der Zwerge, die in
dunklen Gewölben schimmerten. Plötzlich sprang am Horizont
jenseits des Wassers eine große Flamme auf (vielleicht hatte
jemand ein Feuer entzündet), und er mußte an plündernde
Drachen denken, die sich auf seinem ruhigen Berg niederließen
und alles in Flammen gekommen bin. Sobald ich einen Blick auf
diesen kleinen Burschen geworfen hatte, der auf der Fußmatte
herumhopste, da hatte ich meine Zweifel. Er sieht mehr nach
einem Krämer als nach einem Meisterdieb aus."
Da drehte Mister Beutlin den Türknopf und trat ein. Die
Tukseite hatte gewonnen. Er spürte, daß er ohne Bett und
Frühstück losziehen konnte, ja, sie sollten sehen, daß er wütend
und kampfhungrig war. Und was den kleinen Burschen anging,
der auf seiner Fußmatte herumhopste, so machte ihn das
wirklich wütend. Noch lange später bedauerte der Beutlin, was
er jetzt tat. Und er sagte zu sich: Bilbo, du warst ein Verrückter.
Du bist mit offenen Augen in dein Unglück gestolpert!
"Verzeiht", sagte er nämlich, "wenn ich einiges mit angehört
habe. Ich verstehe zwar nicht, worüber ihr euch unterhalten
habt, verstehe auch nicht eure Bemerkung über Meisterdiebe,
aber ich nehme an, daß ich richtig vermute (und das nannte er
Würde bewahren) - daß ihr mich für untauglich haltet.
Ich werde es euch zeigen. Ich habe keine Zeichen an meiner
Tür, sie wurde erst vor einer Woche gestrichen -, und ich bin
ganz sicher, daß ihr in das falsche Haus gekommen seid. Sobald
ich eure merkwürdigen Gesichter auf der Türschwelle sah, hatte
ich meine Zweifel. Aber betrachtet es nunmehr als das richtige
Haus. Erzählt mir, was ihr getan haben wollt, und ich werde es
versuchen, selbst wenn ich bis zum Ende der Welt marschieren
und mit den Lindwürmern in der letzten Wüste kämpfen müßte.
Ich hatte einen Ur-Ur-Ur-Großonkel! Stierbrüller Tuk."
"Ja, gewiß, aber das ist lange her", sagte Gloin. "Ich sprach
von Euch. Und ich versichere Euch, daß ein Zeichen an der Tür
war - das übliche im Geschäftsleben: ,Meisterdieb sucht gute
Arbeit mit viel Aufregungen und gegen angemessenen Lohn`.
So ist dieses Zeichen ja gewöhnlich zu verstehen. Ihr könnt auch
Bewährter Schatzjäger an Stelle von Meisterdieb sagen, wenn
das Euch besser gefällt.
Mancher tut es auch, aber für uns ist es ein und dasselbe.
Gandalf erzählte uns, daß es hier in dieser Gegend einen solchen
Mann gäbe, der gerade einen derartigen Posten sucht, und daß er
eine Zusammenkunft hier für diesen Mittwoch nachmittag
arrangiert habe."
"Natürlich ist das Zeichen da", sagte Gandalf, "ich habe es
selbst angebracht. Aus gutem Grund. Ihr batet mich, den
vierzehnten Mann für eure Expedition zu finden, und ich wählte
Mister Beutlin. Es soll mir bloß einer sagen, ich hätte den
falschen Mann oder das falsche Haus ausgesucht, und ihr könnt
euch mit dreizehn abfinden, könnt eurem Mißgeschick in die
Arme laufen oder zurückgehen und wieder Kohlen kratzen. "
Er runzelte die Stirn so fürchterlich, daß Gloin sich rasch in
seinen Stuhl drückte, und als Bilbo den Mund öffnen wollte, um
eine Frage zu stellen, drehte er sich um, starrte auch ihn an, und
seine buschigen Augenbrauen streckten sich so weit vor, daß
Bilbo den Mund zuschnappen ließ. "In Ordnung", sagte Gandalf.
"Keine Auseinandersetzungen mehr. Ich habe Mister Beutlin
ausgewählt, und das sollte euch genügen. Wenn ich sage, er ist
Meisterdieb, dann ist er ein Meisterdieb oder wird einer sein,
wenn die Zeit dazu kommt. Es steckt eine Menge mehr in ihm,
als ihr meint, und eine Menge mehr, als er selbst es ahnt.
Wahrscheinlich werdet ihr mir alle noch einmal dankbar dafür
sein.
Nun, Bilbo, mein Junge, holt die Lampe und laßt ein bißchen
Licht darauf fallen. "
Im Schein der Lampe mit dem roten Schirm breitete er auf
dem Tisch ein Stück Pergament aus, das wie eine Karte aussah.
"Dies hat Euer Großvater angefertigt, Thorin", entgegnete er
auf die aufgeregten Fragen der Zwerge.
"Es ist ein Plan des Berges."
"Mir scheint, das wird uns nicht viel helfen", sagte Thorin
enttäuscht nach einem kurzen Blick auf das Pergament. "Ich
erinnere mich gut genug an den Berg und die Länder in seiner
Umgebung, und ich weiß, wo der Nachtwald ist und die
Verwitterte Heide, wo die großen Drachen hausen. "
"Da ist oben auf dem Berg rot ein Drache eingezeichnet" ,
meinte Balin, "aber es dürfte nicht schwerfallen, ihn auch ohne
diesen Plan zu finden, wenn wir jemals dort oben ankommen. "
"Da ist jedoch ein Punkt, den Ihr nicht bemerkt habt", sagte
Gandalf, "und das ist der geheime Eingang: Seht Ihr diese Rune
auf der Westseite und die Hand, die von den anderen Runen her
darauf hinzeigt? Das bedeutet einen verborgenen Zugang zu den
unteren Gewölben. "
"Kann sein, daß dieser Zugang irgendwann einmal geheim
war", entgegnete Thorin, "aber wie können wir wissen, ob er
noch immer geheim ist? Der alte Smaug hat dort lange genug
gelebt, um alles herauszufinden, was es über diese Gewölbe
herauszufinden gibt."
"Möglich - aber er kann seit Jahr und Tag mit diesem Zugang
nichts anfangen. "
"Warum?"
"Weil der Eingang zu klein ist. Fünf Fuß hoch die Tür, und
drei passen nebeneinander, sagen die Runen. Aber Smaug
konnte in ein solches Loch nicht hineinkriechen, selbst nicht, als
er noch ein Jungdrache war, gewiß aber nicht, nachdem er so
viele Zwerge und Menschen aus dem Tal gefressen hat."
bezahlten uns ordentlich, besonders mit Lebensmitteln. Wir
brauchten uns daher nicht mehr damit abzumühen, das Gemüse
selbst anzubauen. Alles zusammengenommen : Es waren gute
Tage für uns, und selbst der _rmste hatte Geld genug
auszugeben und zu verleihen, hatte Muße, wunderbare Arbeiten
rein zum Spaß herzustellen, gar nicht zu reden von den
hübschen Zauberspielzeugen, die bis auf den heutigen Tag
nirgendwo anders auf der Welt mehr zu finden sind. So wurden
die Gewölbe meines Großvaters mit Rüstungen und Edelsteinen
gefüllt, mit Schnitzereien und Bechern, und die Spielzeugläden
von Dal waren ein Anblick, den man nicht mehr vergaß.
Zweifellos lockte gerade das den Drachen an. Drachen stehlen
Gold und Edelsteine, wie Ihr wißt, bestehlen Menschen und
Elben und Zwerge, wo auch immer sie etwas finden können.
Und sie hüten ihren Raub, solange sie leben (und das ist
praktisch ewig, wenn sie nicht umgebracht werden). Dabei
erfreuen sie sich nicht einmal an einem Messingring. Es ist
schon so : Sie können kaum ein gutes Werkstück von einem
schlechten unterscheiden, obwohl sie gewöhnlich eine sehr gute
Nase für seinen Verkaufspreis haben. Aber sie können nichts
selbst machen, nicht einmal eine lose Schuppe an ihrem
Schuppenpanzer befestigen. Nun, in jenen Tagen gab es eine
Menge Drachen im Norden.
Wahrscheinlich wurde das Gold dabei knapp. Die Zwerge
flohen nach Süden oder wurden getötet, und die allgemeine
Verwüstung und Verheerung, die die Drachen anrichteten,
wandte alles vom Schlechten zum Schlechteren. Unter ihnen gab
es einen besonders gierigen, starken und verschlagenen
Drachen, Smaug genannt. Eines Tages flog er auf und kam nach
Süden. Das erste, was wir von ihm hörten, war ein Lärm wie
von einem wilden Sturm, der aus dem Norden heranwirbelte.
Die Bergkiefern krachten und zerbrachen im Sturm. Einige
Zwerge, die das Glück hatten, draußen zu sein (und ich war
einer von den glücklichen, ein prächtiger draufgängerischer
Bursche in jenen Tagen, immerzu auf Wanderschaft, und das
rettete mir an diesem Tage das Leben) - gut also, aus
angemessener Entfernung sahen wir, wie der Drache sich auf
unserem Berg in einer riesigen Flamme niederließ.
Dann kam er den Hang herab, und als er die Wälder erreichte,
da gingen sie in Flammen auf. In dieser Stunde läuteten alle
Glocken in Dal. Die Krieger rüsteten sich, die Zwerge stürzten
aus dem großen Tor - aber dort wartete der Drache auf sie. Auf
diesem Weg entkam keiner. Der Fluß zerkochte in weißem
Dampf, ein dichter Nebel senkte sich auf Dal herab, und da fiel
auch schon der Drache über die Krieger her und vernichtete die
meisten - es war das übliche unglückselige Geschick, nur zu
üblich in jenen Tagen. Dann ging Smaug zurück und kroch
durch das Haupttor und stöberte in allen Hallen und Gängen, in
Stollen und Gäßchen, in Kellern, Wohnungen und Durchgängen
umher. Danach war im Berginnern kein Zwerg mehr am Leben,
und er nahm all ihre Reichtümer in Besitz.
Wahrscheinlich, denn das ist Drachengewohnheit, hat Smaug
alles tief in der Erde auf einen großen Haufen gestapelt und
schläft darauf wie auf einem Bett. Später kroch er oft aus dem
großen Tor heraus, kam bei Nacht nach Dal und schleppte Leute
weg, besonders Jungfrauen, um sie aufzufressen - bis Dal
zerstört und alles Volk tot oder geflohen war. Was jetzt dort
vorgeht, weiß ich nicht. Aber ich vermute, daß heutzutage
niemand näher am Berge wohnt als am äußersten Ende des
Langen Sees.
Die wenigen von uns, die draußen waren, verbargen sich und
weinten und verfluchten Smaug.
Plötzlich stießen eines Tages mein Vater und mein Großvater
mit versengten Bärten zu uns. Sie sahen sehr grimmig aus,
sagten aber sehr wenig. Wenn ich sie fragte, wie sie
herausgekommen wären, bedeuteten sie mir, ich solle meine
Zunge hüten, und sie sagten, daß ich eines Tages zur rechten
Zeit alles wissen würde. Danach zogen wir fort. Wir mußten
unser Leben fristen, so gut wir konnten, da und dort in den
Ländern. Oft genug sanken wir bis zum Hufschmied hinab, oder
wir mußten sogar in die Kohlenbergwerke gehen. Aber niemals
haben wir unseren gestohlenen Schatz vergessen. Und gerade
jetzt, da ich mir erlauben darf zu sagen, daß wir eine ganz
schöne Menge beiseite gelegt haben und daß es uns durchaus
nicht schlecht geht" Thorin strich über die goldene Kette, die um
seinen Hals hing, "hoffen wir noch immer, ihn zurückzuerhalten
und unsere Flüche über Smaug zu bringen - falls es uns
verstattet ist.
Ich habe mich oft über die Flucht meines Vaters und meines
Großvaters gewundert. Jetzt sehe ich, daß sie eine Nebentür
benutzten, die nur ihnen allein bekannt war. Augenscheinlich
zeichneten sie auch eine Karte. Doch jetzt möchte ich wissen,
wie Gandalf sich ihrer bemächtigte und warum sie nicht auf
mich, den rechtmäßigen Erben, gekommen ist."
"Ich habe mich nicht ihrer bemächtigt", sagte Gandalf. "Sie
wurde mir gegeben. Euer Großvater wurde getötet, wie Ihr Euch
erinnert, von einem Ork in den Bergwerken von Moria."
"Verflucht sei der Ork", warf Thorin ein.
"Und Euer Vater ging am 21. April, am letzten Donnerstag
vor hundert Jahren, fort, und Ihr habt ihn seitdem nicht mehr
gesehen. "
"Wahr, wahr", sagte Thorin.
Bilbo sprang auf, zog seinen Morgenrock an und ging in das
Speisezimmer. Dort sah er niemand, fand jedoch alle Zeichen
eines ausgedehnten, aber eiligen Frühstücks. In dem Zimmer
war ein Durcheinander zum Fürchten, und Haufen von
ungespültem Geschirr standen in der Küche; fast alle Töpfe und
Pfannen, die er besaß, schienen gebraucht zu sein. Der
Aufwasch war traurige Tatsache.
Bilbo mußte einsehen, daß die Gesellschaft der Nacht zuvor
keineswegs einem Alptraum entsprungen war, wie er fast
gehofft hatte. Nach allem war er sogar erleichtert bei dem
Gedanken, daß die ungebetenen Gäste ohne ihn fortgegangen
waren und ihn nicht einmal geweckt hatten (aber ohne ein
Dankeschön, dachte Bilbo). Er fühlte sich ein bißchen
enttäuscht. Und dies Gefühl überraschte ihn. Sei kein Narr,
Bilbo Beutlin! sagte er zu sich selbst. In deinem Alter an
Drachen und all den ausländischen Unsinn zu denken! So band
er sich eine Schürze um, machte Feuer, ließ Wasser kochen und
wusch auf. Dann verzehrte er ein hübsches kleines Frühstück in
der Küche, bevor er das Speisezimmer auskehrte. Die Sonne
schien, die Haustür stand offen und ließ eine warme
Frühlingsbrise herein. Bilbo begann laut zu pfeifen und die
vergangene Nacht zu vergessen. Gerade hatte er sich im
Speisezimmer am offenen Fenster zu einem kleinen zweiten
Frühstück niedergesetzt, als Gandalf hereinkam.
"Mein lieber Junge", sagte er, "wann gedenkt Ihr eigentlich zu
kommen? Wie war das mit dem frühen Aufbruch? Und hier sitzt
Ihr nun beim Frühstück, oder wie Ihr es nennt, um halb elf! Sie
haben Euch doch eine Nachricht hinterlassen, weil sie nicht
warten konnten. "
"Eine Nachricht?" fragte der arme Mister Beutlin ganz
verwirrt.
"Du lieber Himmel!" antwortete Gandalf. "Ich kenne Euch
nicht wieder. Habt Ihr denn den Kaminsims noch nicht
abgestaubt?"
"Was hat das damit zu tun? Ich habe genug mit dem Abwasch
für vierzehn zu schaffen gehabt!"
"Hättet Ihr den Kaminsims abgestaubt, so hättet Ihr dies hier
unter der Uhr gefunden", sagte Gandalf und übergab Bilbo einen
Brief (der natürlich auf Bilbos eigenem Briefpapier geschrieben
war). Da war folgendes zu lesen: "Thorin & Companie grüßen
den Meisterdieb Bilbo! Für Eure Gastfreundschaft unseren
aufrichtigen Dank, und für Euer Angebot beruflicher
Hilfeleistung unsere freundliche Annahme. Bedingungen:
Auszahlung bei Ablieferung. Der Betrag darf den 14. Teil des
Gesamtgewinns, wenn es überhaupt welchen geben sollte,
erreichen, darf ihn aber keinesfalls überschreiten, alle
Reisekosten in jedem Falle garantiert; Begräbniskosten werden
von uns oder unseren Vertretern getragen, falls sich die
Notwendigkeit ergeben sollte und die Angelegenheit nicht auf
andere Weise geregelt werden kann. Da wir es nicht für
notwendig erachten, Eure hochgeschätzte Ruhe zu stören, sind
wir vorausgegangen, um unsere Vorbereitungen zu treffen, und
werden Eure geachtete Persönlichkeit beim Gasthaus, Zum
grünen Drachen` zu Wassernach Punkt elf erwarten. Hoffend,
daß Ihr pünktlich sein werdet, haben wir die Ehre zu verbleiben
Eure sehr verbundene Thorin & Co."
"Das läßt Euch gerade noch zehn Minuten. Ihr müßt laufen",
bemerkte Gandalf.
"Aber -", sagte Bilbo.
"Keine Zeit dafür", sagte der Zauberer.
"Aber ich - ", fing Bilbo noch einmal an.
"Auch dafür keine Zeit! Ihr müßt losgehen. "
Bis zum Ende seiner Tage konnte Bilbo sich nicht erinnern,
wie er herausgekommen war, ohne Hut, ohne Spazierstock und
ohne Geld, ohne irgend etwas, das er gewöhnlich mit sich nahm,
wenn er ausging. Sein zweites Frühstück ließ er halb beendet
und das Geschirr ungespült. Die Schlüssel drückte er Gandalf in
die Hand, und dann rannte er, so schnell wie seine bepelzten
Füße ihn den Weg hinuntertrugen, an der großen Mühle vorbei
über das Wasser und dann eine ganze Meile weiter oder mehr.
Er schnaufte mächtig, als er Wassernach genau auf den
Glockenschlag elf erreichte. Und dabei entdeckte er, daß er ohne
Taschentuch unterwegs war!
"Bravo!" sagte Balin, der an der Wirtshaustür nach ihm
Ausschau gehalten hatte.
Gerade in diesem Augenblick kamen die anderen um die
Wegkehre vom Dorf her. Sie saßen auf Ponys, und jedes Pony
war bepackt mit allen möglichen Gepäckstücken, Paketen,
Bündeln und Ausrüstungsgegenständen. Es war auch ein sehr
kleines Pony dabei, augenscheinlich für Bilbo.
"Auf, ihr zwei, und los geht's!" sagte Thorin. "Es tut mir
schrecklich leid, entgegnete Bilbo, "aber ich bin ohne Hut
gekommen, habe mein Taschentuch vergessen und kein Geld
eingesteckt. Um genau zu sein: Ich habe euren Brief erst nach
10.45 Uhr bekommen. "
Da saßen sie klamm und naß und laut brummend, während
Oin und Gloin es noch einmal mit dem Feuer versuchten und
sich dabei in die Haare gerieten. Bilbo dachte gerade traurig
darüber nach, daß Abenteuer durchaus nicht nur Spazierritte auf
dem Pony im Maisonnenschein waren, als Balin, der stets den
Ausguck übernahm, herüberrief: "Da droben ist ein Licht!" Sie
lagerten nicht weit von einem Berg, der teilweise dicht bewaldet
war. Zwischen den dunklen Stämmen konnte man ein Licht
scheinen sehen, ein rötliches, sehr angenehm aussehendes Licht,
vielleicht ein Feuer oder eine flackernde Fackel.
Nachdem sie eine Weile hingeschaut hatten, begannen sie zu
streiten. Einige sagten nein, und andere sagten ja. Einige sagten,
wer wollte, könnte ja gehen und nachschauen, und das wäre am
Ende besser als wenig Abendbrot und noch weniger Frühstück
und nasse Kleider die ganze Nacht.
Wieder andere sagten: "Diese Landstriche sind nicht genug
erforscht. Sie liegen zu nahe am Gebirge.
Reisende kommen nicht so weit, die alten Karten taugen
nichts, und die Straße ist unbewacht. Man hat auch noch gar
nichts von dem König hierherum gehört, und je weniger genau
einer hinschaut, wenn er hier durchzieht, desto weniger Verdruß
wird er haben." Einige sagten: "Schließlich sind wir vierzehn."
Andere fragten: "Wohin ist Gandalf verschwunden?" Diese
Bemerkung wurde von allen wiederholt. Dann begann der
Regen herabzurauschen, schlimmer denn je, und Oin und Gloin
gerieten sich abermals in die Wolle.
Das gab den Ausschlag. "Wie es auch sei : Wir haben einen
Meisterdieb bei uns", sagten sie. Und so machten sie sich auf
und führten ihre Ponys (mit aller gebührenden Vorsicht) auf den
Lichtschein zu.
Sie kamen an den Fuß des Berges und waren bald im Wald.
Sie gingen den Berg hinauf, aber es war kein ordentlicher Pfad
zu sehen, der vielleicht zu einem Haus oder zu einem Bauernhof
hätte führen können. Sie taten, was sie konnten, und machten
doch allerhand Krach, Geraschel und Geknarre, als sie zwischen
den Bäumen in pechschwarzer Nacht dahinzogen (und ein gut
Teil Murren und Fluchen kam auch dazu).
Plötzlich schimmerte das rote Licht ganz hell und gar nicht
weit vor ihnen durch die Bäume.
"Jetzt ist unser Meisterdieb an der Reihe" sprachen sie und
schauten Bilbo an.
"Geht los und kundschaftet dieses Licht aus, seht zu, warum
es leuchtet und ob dort alles sicher und ohne Gefahr ist", sagte
Thorin zu dem Hobbit. "Geht jetzt und kommt rasch zurück,
falls alles in Ordnung ist. Wenn nicht, dann kommt zurück, falls
Ihr könnt! Falls es aber nicht geht, dann heult zweimal lang wie
eine Schleiereule und einmal kurz wie eine Baumeule, und dann
wollen wir tun, was wir können. "
Bilbo mußte losgehen, bevor er erklären konnte, daß er
überhaupt wie keine einzige Eulensorte zu heulen verstand.
Ebensogut hätte man verlangen können, er solle wie eine
Fledermaus fliegen. Aber wie dem auch sei, Hobbite können
sich lautlos in den Wäldern vorwärts bewegen. Sie sind stolz
darauf. Mehr als einmal hatte Bilbo schon verächtlich über das
geschnauft, was er den "Zwergenspektakel" nannte, wenn die
Kerle so dahertapsten - obgleich weder ihr noch ich in einer
solch stürmischen Nacht irgend etwas vernommen hättet, nicht
einmal, wenn die ganze Gesellschaft in zwei Schritt Entfernung
vorübergerumpelt wäre. Bilbo pirschte sich also an den roten
Lichtschein heran, und nicht einmal einem Wiesel zuckte ein
Schnurrbarthaar. Bilbo ging geradewegs auf das Feuer zu - denn
ein Feuer war es -, ohne irgendwen aufzustören. Und dies sah
unser Hobbit: Drei mächtig große Kerle saßen rund um ein
gewaltiges Feuer aus Buchenstämmen. Sie brieten
Hammelfleisch an langen hölzernen Bratspießen und leckten das
Fett von ihren Fingern. Ein außerordentlich wohltuender Duft
stach ihm in die Nase. Auch stand ein Faß mit einem guten
Tropfen neben ihnen, und die Kerle tranken aus Krügen. Es
waren augenscheinlich Trolle. Selbst Bilbo, trotz seines bisher
wohlgeordneten Lebens, konnte das sehen: an den groben
Gesichtern, an ihrer Größe, an der Länge ihrer Beine - nicht zu
erwähnen ihre Sprache, die keineswegs gepflegt war.
Keineswegs.
"Hammelfleisch gestern, Hammelfleisch heute, und
verdammich, wenn es nicht morgen auch nach Hammelfleisch
riecht", sagte einer von den Trollen.
"Seit langem haben wir nicht einen winzigen Fetzen
Menschenfleisch gegessen", sagte der zweite.
"Was zur Hölle hat Bill sich dabei gedacht, als er Uns in diese
Gegend brachte. Und noch schlimmer: Das Gesöff wird auch
schon alle." Dabei stieß er Bill, der gerade einen tiefen Zug aus
dem Krug tat, am Ellbogen an. Bill verschluckte sich. "Halt dein
Maul!" sagte er, sobald er die Sprache wiederfand.
"Ihr könnt doch nicht erwarten, daß die Leute hierbleiben und
von dir und Bert gefressen werden wollen. Mittlerweile habt ihr
zusammen eineinhalb Dörfer gefressen, seit wir aus dem
Gebirge herunterkamen. Wieviel wollt ihr denn noch fressen? Es
wäre längst an der Zeit gewesen, für einen solch netten fetten
Hammelbrocken, wie dies einer war, danke schön zu sagen!"
Dabei riß er einen ordentlichen Fetzen von der Hammelkeule,
die er gerade röstete, und wischte sich den Mund am _rmel ab.
Ja, es ist schlimm, Trolle benehmen sich nun einmal so, selbst
diejenigen, die nur einen Kopf haben.
Hunde ineinander und warfen einander alle möglichen
durchaus zutrefFenden Schimpfnamen an den Kopf. Bald hatten
sie sich gegenseitig im Schwitzkasten und rollten beinahe ins
Feuer. Sie traten und schlugen um sich, während Tom mit einem
Ast auf sie losprügelte, um sie wieder zu Verstand zu bringen.
Aber das machte sie natürlich nur noch verrückter.
Jetzt wäre es für Bilbo an der Zeit gewesen, endgültig zu
verschwinden. Aber sein armer kleiner Fuß war in Berts Pranke
sehr gequetscht worden, auch hatte er keine Luft mehr, und in
seinem Kopf drehte sich alles um und um. Japsend blieb Bilbo
außerhalb des vom Feuer beleuchteten Kreises liegen.
Mitten während des Kampfes erschien Balin. Die Zwerge
hatten aus der Entfernung den Lärm gehört, und nachdem sie
eine Weile auf Bilbo oder auf einen Eulenruf gewartet hatten,
kroch einer nach dem anderen, so leise er es vermochte, auf das
Licht zu. Kaum sah Tom den heranschleichenden Balin in den
Lichtkreis treten, als er ein schreckliches Geheul von sich gab.
Trolle verabscheuen ganz einfach den Anblick von Zwergen
(ungekochten). Bert und Bill hörten sofort auf zu kämpfen und
schrien: "Ein Sack, Tom, rasch!" Bevor Balin, der sich
wunderte, wo Bilbo bei all diesem Durcheinander steckte,
begriff, was geschah, hatte er schon einen Sack überm Kopf und
lag auf dem Boden.
"Da wird leicht noch mehr kommen", rief Tom, "oder ich muß
mich mächtig täuschen. Massenweise und nicht ein einziger:
Das ist es sagte er. "Keine Meisterhobbits aber eine ganze Masse
von diesen Zwergen hier. So also ist das zu verstehen!"
"Ich schätze, du hast recht", entgegnete Bert. "Am besten, wir
gehen aus dem Licht."
Und das taten sie auch. Mit Säcken in den Händen, die sie
sonst dazu brauchten, Hammel und anderen Raub
wegzuschleppen, warteten sie im Schatten. Jedesmal, wenn ein
Zwerg herankam und überrascht das Feuer anschaute; die
umgeschütteten Krüge und das angenagte Hammelfleisch hopp!
da hatte er einen häßlichen, übelriechenden Sack über dem Kopf
und lag auf der Erde. Bald lag Dwalin neben Balin und Fili
neben Kili, und Dori, Nori und Ori lagen auf einem Haufen, und
Oin und Gloin, Bifur, Bofur und Bombur stapelten sich
verhängnisvoll nahe beim Feuer.
"Das wird ihnen eine Lehre sein", sagte Tom, denn Bifur und
Bombur hatten eine Menge Mühe gemacht. Sie hatten gefochten
wie die Irren, wie Zwerge es tun, wenn sie in die Enge getrieben
werden.
Thorin kam zuletzt - aber er ließ sich nicht ahnungslos
überrumpeln. Er hatte schon ein Unglück voraus geahnt und
brauchte nicht erst die Beine seiner Freunde aus den Säcken
ragen zu sehen, da begriff er schon, daß nicht alles zum besten
stand. Er blieb im Schatten und fragte: "Was ist hier los?
Wer hat meine Leute niedergeschlagen? "
"Das sind die Trolle!" erwiderte Bilbo hinter einem Baum.
Die Kerle hatten ihn ganz vergessen. "Mit Säcken lauern sie in
den Sträuchern", fügte er hinzu.
"Oh! Tatsache?" sagte Thorin, und schon sprang er vorwärts
zum Feuer, bevor sie ihn erwischen konnten. Er griff einen
dicken, an seinem Ende hellodernden Ast, und Bert bekam
dieses Ende ins Auge, ehe er wegspringen konnte. Das setzte ihn
für eine Weile außer Gefecht.
Auch Bilbo tat sein Bestes. Er bekam Toms Bein zu fassen so
gut das ging, denn es war so dick wie ein junger Baumstamm.
Aber er wurde auf ein Gebüsch hinaufgewirbelt, und Tom trat
Thorin Funken ins Gesicht. Dafür bekam Tom den Ast in die
Zähne und verlor einen von den vorderen. Er heulte ganz schön
auf, das kann ich euch erzählen. Aber gerade in diesem
Augenblick kam Bill von hinten heran und warf einen Sack
genau auf Thorins Kopf und herunter bis zu seinen Zehen.
Damit war der Kampf zu Ende.
Sie saßen nun ganz hübsch in der Falle. Sauber in Säcke
gebunden, mit drei wütenden Trollen, die daneben hockten
(zwei davon mit Brandblasen und Beulen) und stritten, ob sie
die Gesellschaft nun langsam rösten sollten oder kleinhacken
und kochen oder ob sie sich nur der Reihe nach draufsetzen und
sie zu Sülze zerquetschen sollten. Und Bilbo hing oben im
Gesträuch, Kleider und Haut zerrissen, und wagte sich nicht zu
bewegen, aus Furcht, daß sie ihn hören könnten.
Gerade in diesem Augenblick kam Gandalf zurück. Aber
niemand sah ihn. Die Trolle hatten inzwischen beschlossen, die
Zwerge sofort zu rösten und erst später zu essen. übrigens war
dies Berts Gedanke.
Nach vielem Gerede hatten sie ihm zugestimmt.
"Zu blöd, die Burschen jetzt zu rösten. Das würde die ganze
Nacht dauern", sagte eine Stimme. Bert nahm an, es wäre Bill.
"Fang bloß nicht wieder mit der Streiterei an, Bill! " sagte er,
"oder es wird tatsächlich die ganze Nacht dauern. "
"Wer streitet?" fragte Bill, denn er dachte, Bert hätte
gesprochen.
"Du, wer denn sonst", antwortete Bert.
Hunde ineinander und warfen einander alle möglichen
durchaus zutreffenden Schimpfnamen an den Kopf. Bald hatten
sie sich gegenseitig im Schwitzkasten und rollten beinahe ins
Feuer. Sie traten und schlugen um sich, während Tom mit einem
Ast auf sie losprügelte, um sie wieder zu Verstand zu bringen.
Aber das machte sie natürlich nur noch verrückter.
Jetzt wäre es für Bilbo an der Zeit gewesen, endgültig zu
verschwinden. Aber sein armer kleiner Fuß war in Berts Pranke
sehr gequetscht worden, auch hatte er keine Luft mehr, und in
seinem Kopf drehte sich alles um und um. Japsend blieb Bilbo
außerhalb des vom Feuer beleuchteten Kreises liegen.
Mitten während des Kampfes erschien Balin. Die Zwerge
hatten aus der Entfernung den Lärm gehört, und nachdem sie
eine Weile auf Bilbo oder auf einen Eulenruf gewartet hatten,
kroch einer nach dem anderen, so leise er es vermochte, auf das
Licht zu. Kaum sah Tom den heranschleichenden Balin in den
Lichtkreis treten, als er ein schreckliches Geheul von sich gab.
Trolle verabscheuen ganz einfach den Anblick von Zwergen
(ungekochten). Bert und Bill hörten sofort auf zu kämpfen und
schrien: "Ein Sack, Tom, rasch!" Bevor Balin, der sich
wunderte, wo Bilbo bei all diesem Durcheinander steckte,
begriff, was geschah, hatte er schon einen Sack überm Kopf und
lag auf dem Boden.
"Da wird leicht noch mehr kommen", rief Tom, "oder ich muß
mich mächtig täuschen. Massenweise und nicht ein einziger:
Das ist es sagte er. "Keine Meisterhobbits aber eine ganze Masse
von diesen Zwergen hier. So also ist das zu verstehen!"
"Ich schätze, du hast recht", entgegnete Bert. "Am besten, wir
gehen aus dem Licht."
Und das taten sie auch. Mit Säcken in den Händen, die sie
sonst dazu brauchten, Hammel und anderen Raub
wegzuschleppen, warteten sie im Schatten. Jedesmal, wenn ein
Zwerg herankam und überrascht das Feuer anschaute; die
umgeschütteten Krüge und das angenagte Hammelfleisch hopp!
da hatte er einen häßlichen, übelriechenden Sack über dem Kopf
und lag auf der Erde. Bald lag Dwalin neben Balin und Fili
neben Kili, und Dori, Nori und Ori lagen auf einem Haufen, und
Oin und Gloin, Bifur, Bofur und Bombur stapelten sich
verhängnisvoll nahe beim Feuer.
"Das wird ihnen eine Lehre sein", sagte Tom, denn Bifur und
Bombur hatten eine Menge Mühe gemacht. Sie hatten gefochten
wie die Irren, wie Zwerge es tun, wenn sie in die Enge getrieben
werden.
Thorin kam zuletzt - aber er ließ sich nicht ahnungslos
überrumpeln. Er hatte schon ein Unglück vorausgeahnt und
brauchte nicht erst die Beine seiner Freunde aus den Säcken
ragen zu sehen, da begriff er schon, daß nicht alles zum besten
stand. Er blieb im Schatten und fragte: "Was ist hier los?
Wer hat meine Leute niedergeschlagen? "
"Das sind die Trolle!" erwiderte Bilbo hinter einem Baum.
Die Kerle hatten ihn ganz vergessen. "Mit Säcken lauern sie in
den Sträuchern", fügte er hinzu.
"Oh! Tatsache?" sagte Thorin, und schon sprang er vorwärts
zum Feuer, bevor sie ihn erwischen konnten. Er griff einen
dicken, an seinem Ende hellodernden Ast, und Bert bekam
dieses Ende ins Auge, ehe er wegspringen konnte. Das setzte ihn
für eine Weile außer Gefecht.
Auch Bilbo tat sein Bestes. Er bekam Toms Bein zu fassen so
gut das ging, denn es war so dick wie ein junger Baumstamm.
Aber er wurde auf ein Gebüsch hinaufgewirbelt, und Tom trat
Thorin Funken ins Gesicht. Dafür bekam Tom den Ast in die
Zähne und verlor einen von den vorderen. Er heulte ganz schön
auf, das kann ich euch erzählen. Aber gerade in diesem
Augenblick kam Bill von hinten heran und warf einen Sack
genau auf Thorins Kopf und herunter bis zu seinen Zehen.
Damit war der Kampf zu Ende.
Sie saßen nun ganz hübsch in der Falle. Sauber in Säcke
gebunden, mit drei wütenden Trollen, die daneben hockten
(zwei davon mit Brandblasen und Beulen) und stritten, ob sie
die Gesellschaft nun langsam rösten sollten oder kleinhacken
und kochen oder ob sie sich nur der Reihe nach draufsetzen und
sie zu Sülze zerquetschen sollten. Und Bilbo hing oben im
Gesträuch, Kleider und Haut zerrissen, und wagte sich nicht zu
bewegen, aus Furcht, daß sie ihn hören könnten.
Gerade in diesem Augenblick kam Gandalf zurück. Aber
niemand sah ihn. Die Trolle hatten inzwischen beschlossen, die
Zwerge sofort zu rösten und erst später zu essen. übrigens war
dies Berts Gedanke.
Nach vielem Gerede hatten sie ihm zugestimmt.
"Zu blöd, die Burschen jetzt zu rösten. Das würde die ganze
Nacht dauern", sagte eine Stimme. Bert nahm an, es wäre Bill.
"Fang bloß nicht wieder mit der Streiterei an, Bill! " sagte er,
"oder es wird tatsächlich die ganze Nacht dauern. "
"Wer streitet?" fragte Bill, denn er dachte, Bert hätte
gesprochen.
"Du, wer denn sonst", antwortete Bert.
"Du bist ein Lügner", sagte Bill. Und schon begann der Streit
von neuem. Am Ende beschlossen sie, die Zwerge fein zu
hacken und sie zu kochen. Sie holten also einen großen
schwarzen Topf herbei und zogen ihre Messer heraus.
"Zu blöd, die Burschen zu kochen! Wir haben kein Wasser da,
und es ist ein ganz schöner Weg bis hinunter zur Quelle", sagte
eine Stimme. Bert und Bill dachten, es wäre Tom.
"Halt's Maul!" schrien sie. "Oder wir schaffen es nie. Und du
kannst das Wasser selbst holen, wenn du noch ein Wort sagst."
"Halt du gefälligst dein Maul!" rief Tom, der annahm, er hätte
Bills Stimme gehört. "Ich möchte bloß wissen, warum du
dauernd nörgeln mußt."
"Du bist ein Dämlack", sagte Bill.
"Ein Dämlack bist du selbst!" schrie Tom wütend zurück. Und
so begann die Streiterei schon wieder und wurde hitziger denn
je, bis sie schließlich übereinkamen, sich auf einen Sack nach
dem anderen zu setzen, die Zwerge zu zerquetschen und sie
morgen zu kochen.
"Auf welchen Sack wollen wir uns zuerst setzen?" fragte die
Stimme.
Am besten setzen wir uns auf den letzten zuerst", antwortete
Bert, dessen Auge von Thorin ganz schön beschädigt worden
war. Er dachte, Tom hätte gesprochen.
"Red' nicht mit dir selbst! " rief Tom. "Aber wenn du gern auf
dem letzten sitzen willst, setz dich doch drauf Welcher ist es
denn?"
"Der mit den gelben Strümpfen", sagte Bert.
"Unsinn, der mit den grauen Strümpfen", widersprach eine
Stimme, die Bills ähnelte.
"Ich bin aber sicher, daß sie gelb waren", behauptete Bert.
"Klar, sie waren gelb", sagte Bill.
"Warum hast du dann aber gesagt, daß sie grau waren?" fragte
Bert.
"Ich? Niemals. Tom hat es gesagt."
"Das hab ich nie gesagt!" rief Tom wütend. "Du warst es!"
"Zwei zu eins, und jetzt halt dein Maul!" sagte Bert.
"Mit wem sprichst du eigentlich?" fragte Bill.
"Mach endlich Schluß!" riefen Tom und Bert gleichzeitig.
"Die Nacht geht vorbei, und die Dämmerung kommt früh.
Fangen wir endlich an. "
"Die Dämmerung hol euch alle, und zu Stein sollt ihr
werden!" sagte eine Stimme, die klang, als ob es Bills Stimme
wäre. Aber das war sie keineswegs. Denn gerade in diesem
Augenblick wurde es hell über dem Hügel, und ein mächtiges
Zittern lief durch die Zweige. Bill machte seinen Mund nicht
mehr auf, denn er hatte sich in einen Stein verwandelt, als er
sich bückte. Und Bert und Tom wurden zu Felsen, als sie sich
nach ihm umschauten. Und so stehen sie noch bis auf den
heutigen Tag. Ganz einsam, wenn sich nicht gerade ein Vogel
auf sie setzt. Denn Trolle, wie ihr wahrscheinlich wißt, müssen
vor der Dämmerung unter der Erde sein - oder sie werden
wieder zu Gebirgsgestein, aus dem sie gemacht sind, und rühren
sich nie mehr. Und so geschah es mit Bert, Tom und Bill.
"Ausgezeichnet", sagte Gandalf, als er hinter dem Gesträuch
hervortrat und Bilbo half, aus dem Dornbusch herabzuklettern.
Da begriff der gute Bilbo. Es war des Zauberers Stimme
gewesen, die die Trolle so lange nörgeln und streiten ließ, bis
das Licht kam und ein Ende mit ihnen machte.
Das nächste war, die Säcke aufzubinden und die Zwerge
herauszulassen. Sie waren nahezu erstickt und sehr übel gelaunt.
Nun, es war ja auch wirklich keine Freude, dazuliegen und den
Plänen der Trolle zuzuhören, die sie rösten, zerquetschen und
zerhacken wollten. Bilbo mußte zweimal berichten, wie es ihm
ergangen war, bis die Zwerge wirklich zufrieden waren.
"Eine blödsinnige Gelegenheit, sich in der Meister- und der
Taschendieberei zu üben" ,bemerkte Bombur, "was wir
brauchten, war ein Feuer und etwas zu essen!"
"Und gerade das hättet ihr von diesen Burschen ohne einen
Kampf nun einmal nicht erhalten", sagte Gandalf. "Jedenfalls
vergeudet jetzt nicht eure Zeit. Könnt ihr euch nicht vorstellen,
daß die Trolle hier in der Nähe eine Höhle oder ein Loch haben
müssen, wo sie sich vor der Sonne versteckten? Wir müssen uns
umschauen!"
Sie suchten die Umgebung ab, und bald fanden sie die Spuren
der Steinschuhe ihrer Trolle, die fort in den Wald führten. Sie
folgten ihnen bergauf, bis sie, durch Gebüsch verborgen, ein
starkes Felstor entdeckten, das zu einer Höhle führte. Aber sie
konnten es nicht öffnen, selbst als sie sich alle
dagegenstemmten. Gandalf versuchte inzwischen einige
Zauberformeln.
"Könnte uns das vielleicht helfen fragte Bilbo, nachdem sie
müde und ärgerlich geworden waren. "Ich fand es auf dem Platz,
die Trolle sich herumgeschlagen haben." Er hielt einen
großen Schlüssel in der Hand, den Bill ohne Zweifel für sehr
klein und geheim gehalten hatte. Er mußte ihm aus der Tasche
gefallen sein, bevor er zu Stein wurde.
"Warum in aller Welt habt Ihr das nicht vorher gesagt?" riefen
sie. Gandalf ergriff den Schlüssel und steckte ihn in das
Schlüsselloch. Das Felstor drehte sich mit kräftigem Schwung
nach innen, und sie stolperten hinein. Da lagen Knochen auf
dem Boden, und ein scheußlicher Geruch stand in der Luft.
Aber es gab hier eine ganze Menge an Eßbarem, achtlos auf
Brettern und dem Erdboden aufgestapelt.
Darunter befand sich ein unordentlicher Haufen von
geraubtem Zeug, angefangen mit Messingknöpfen bis zu Töpfen
voller Goldstücke, die in einer Ecke standen. Eine Menge
Kleider baumelte an den Wänden - aber sie waren zu klein für
Trolle, und ich fürchte, sie gehörten einmal ihren Opfern.
Zwischen ihnen hingen Schwerter verschiedener Form, Art und
Größe. Besonders zwei nahmen ihre Blicke wegen der
wunderbaren Schwertscheiden und der mit Juwelen besetzten
Griffe gefangen.
Gandalf und Thorin ergriffen jeder eines, und Bilbo nahm ein
Messer, das in einer Lederscheide stak.
Für einen Troll wäre es höchstens ein winziges
Taschenmesser gewesen. Aber für einen Hobbit war es geradezu
ein Kurzschwert.
"Das sieht nach guten Klingen aus", sagte der Zauberer, der
sie halb herauszog und aufmerksam betrachtete. "Sie sind von
keinem Troll gemacht, auch nicht von einem Menschenschmied
dieser Gegend und unserer Tage. Aber wenn wir die Runen
darauf lesen können, werden wir mehr darüber wissen. "
"Verschwinden wir möglichst schnell aus diesem gräßlichen
Gestank!" sagte Fili. So trugen sie also die Töpfe mit den
Goldmünzen hinaus und die Lebensmittel, die noch unberührt
haben mir erzählt, daß drei Trolle aus dem Gebirge gekommen
wären und sich dicht beim Wege in den Wäldern niedergelassen
hätten. Die Trolle hätten jedermann aus der Gegend vertrieben
und würden Fremden auflauern. Da hatte ich plötzlich das
Gefühl, daß ich zurückkehren müßte. Als ich zurückblickte, sah
ich in der Ferne ein Feuer und ging darauf zu. So, jetzt wißt Ihr
es. Bitte, seid vorsichtiger beim nächsten Mal, oder wir kommen
niemals an unser Ziel. "
"Vielen Dank für die Belehrung", sagte Thorin.
Eine kurze Rast
Sie sangen nicht und erzählten auch keine Geschichten an
diesem Tag, obgleich das Wetter sich besserte. Sie taten es auch
am nächsten Tag nicht und auch nicht am Tag danach, denn sie
ahnten, daß ringsum Gefahren drohten. Sie übernachteten unter
den Sternen, und für ihre Pferde war der Tisch besser gedeckt
als für sie selbst. Gras gab es genug, aber es gab nicht viel in
ihren Vorratssäcken, selbst nicht mit dem, was sie bei den
Trollen herausgeholt hatten. An einem Morgen durchquerten sie
den Fluß an einer breiten, seichten Stelle, in der das Wasser
zwischen den Steinen brauste und rauschte. Das andere Ufer war
steil und glitschig. Sie führten ihre Ponys hinauf, und von der
Uferhöhe aus sahen sie, daß das Gebirge dicht an sie
herangekommen war. Fast schien es, als brächte sie eines
einzigen Tages leichte Reise zum Fuß des ersten Berges. Dunkel
und düster sah er aus, obgleich Sonnenstreifen auf seinen
braunen Hängen lagen und hinter seinem Gipfel die Spitzen der
Schneehäupter glänzten.
Nie hatte er etwas so Gewaltiges gesehen.
"Keineswegs!" antwortete Balin. "Dies ist nur der Anfang der
Nebelberge. Und wir müssen hindurch oder hinüber oder drunter
durch, ganz gleich, wie, ehe wir in das Einödland jenseits
kommen. Und es ist noch ein schöner Weg auf der anderen Seite
zum Einsamen Berg im Osten, wo Smaug auf unserem Schatz
liegt."
"Oh!" sagte Bilbo. Und in diesem Augenblick fühlte er sich
müder, als er jemals in seinem Leben gewesen war. Er dachte
abermals an seinen bequemen Stuhl vor dem Kaminfeuer, an
sein geliebtes Wohnzimmer in der Hobbithöhle und an der
singenden Teekessel. Und dies nicht zum letzten Male!
Nun führte Gandalf. "Wir dürfen den Pfad nicht verlieren,
oder es ist um uns geschehen", sagte er.
"Außerdem brauchen wir Lebensmittel und Ruhe und sichere
Rast. Auch müssen wir die Nebelberge auf dem richtigen Pfad
überqueren, sonst geht ihr ganz in die Irre, müßt zurückkehren
und von vorn anfangen (wenn ihr überhaupt jemals
zurückkehrt)."
Sie fragten ihn, was er vorhabe, und er antwortete : "Ihr seid
nun an die Grenze zur Wildnis gelangt, wie einige von euch
vielleicht wissen. Irgendwo verborgen vor uns liegt das schöne
Tal von Rivendell, wo Elrond in seinem Anwesen lebt. Ich
schickte Botschaft durch meine Freunde, und wir werden
erwartet."
Das klang hübsch und angenehm, aber sie waren noch nicht
dort, und wie es aussah, war es gar nicht so einfach, dieses
Anwesen westlich des Gebirges zu finden. Scheinbar gab es
keine Bäume, keine Täler und keine Hügel, die die Landschaft
vor ihnen belebten, nur ein riesig breiter, flacher Hang, der
langsam vor ihnen bis zum Fuß des nächsten Berges anstieg, ein
weites, heidefarbenes Land mit verwitterten Felsen, grasigen
und moosgrünen Flecken und Streifen, die wahrscheinlich
Wasser anzeigten.
Die Nachmittagssonne stand niedrig, aber in all der großen
Einsamkeit gab es kein Zeichen, daß hier jemand hauste. Sie
wurden allmählich ängstlich, denn sie erkannten, daß das Haus
irgendwo zwischen ihnen und den Bergen gänzlich verborgen
liegen mußte. Unerwartet stießen sie auf enge Täler mit steil
abfallenden Seiten, die sich plötzlich zu ihren Füßen öffneten,
und sie sahen überrascht auf Bäume hinab und fließendes
Wasser im Grund. Da gab es Einschnitte, über die sie fast
hinwegspringen konnten, aber sie waren sehr tief, und unten
rauschten Wasserfälle. Da gab es düstere Schluchten, die man
nicht überspringen, ja, in die man nicht einmal hinabklettern
konnte. Da gab es Moore - einige schauten wie freundliche
Ebenen mit hohen, leuchtenden Blumen aus. Aber wenn ein
Pony mit seiner Last hineingeraten wäre, würde es nie wieder
herausgekommen sein.
Der Landstrich zwischen der Furt und den Bergen war also in
der Tat viel breiter, als einer vermutet hätte. Bilbo wunderte sich
sehr. Der einzige Pfad war mit weißen Steinen gekennzeichnet.
Einige waren klein, andere halb bedeckt mit Moos oder
Heidekraut. Immerhin war es sehr langweilig, der Spur zu
folgen, selbst wenn Gandalf führte, der seinen Weg
einigermaßen kannte.
Sie glaubten, kaum ein Stück vorangekommen zu sein, als die
Dämmerung anbrach. Sie folgten dem Zauberer, dessen Haupt
und Bart sich unruhig bald da -, bald dorthin drehte, denn er
suchte den Pfad. Teezeit war lange vorüber, und es schien, als
ob auch die Abendessenszeit vorüberginge.
Nachtfalter flatterten umher. Das Licht wurde sehr schwach,
denn der Mond war noch nicht aufgegangen. Bilbos Pony
stolperte über Wurzeln und Steine. Da gelangten sie so plötzlich
an den Rand eines steilen Abfalles, daß Gandalfs Pferd beinahe
den Hang hinunterrutschte. "Hier ist es endlich!" rief er. Tief
unter ihnen sahen sie ein Tal. Sie hörten das Rauschen rasch
fließenden Wassers auf felsigem Grund, sie spürten den Duft
von Bäumen, und von der anderen Seite blinkte ein Licht
herüber.
Niemals vergaß Bilbo den Weg, den sie in der Dämmerung
hinabrutschten und - schlitterten, den steilen Zickzackpfad in
das verborgene Tal von Rivendell. Je tiefer sie hinabkamen,
desto wärmer wurde die Luft, und der Duft der Kiefern machte
Bilbo so schläfrig, daß er gelegentlich einnickte und beinahe
vom Pony fiel oder mit der Nase plötzlich auf der Mähne lag.
Ihre Lebensgeister erwachten jedoch, als sie tiefer hinabstiegen.
Den Kiefern folgten Buchen und Eichen, und sie fühlten sich
hier unten im Zwielicht sicher und geborgen. Schon war das
letzte Grün in den Wiesen verblaßt, als sie eine offene Lichtung
am Ufer des Flusses erreichten.
Hm! Es riecht nach Elben! dachte Bilbo und blickte auf zu
den Sternen. Sie leuchteten hell und bläulich.
In diesem Augenblick setzte in den Bäumen ein Singen ein,
das wie ein Lachen klang : "Ich weiß ein paar Reiter, die ritten
gern weiter.
Doch laßt heut die Fährte und beschlagt erst die Pferde.
Wohin geht's, ihr Reiter?
Wir sagen's nicht weiter.
Ein Hobbit auf Reisen wird ein Nachtlager preisen.
Auf Balin folgt Dwalin der Weg ist so lang hin.
Singt mit uns, seid heiter und reitet nicht weiter!
Im Haus raucht das Reisig, da backen Sie fleißig.
Doch die wehenden Bärte kitzeln die Pferde.
Seid endlich gescheiter und reitet nicht weiter!"
So lachten und sangen sie in den Bäumen. Es war ein ganz
schöner Unsinn, das kann man wohl behaupten, nicht wahr?
Aber sie würden nur noch mehr gelacht haben, wenn man es
ihnen gesagt hätte. Es waren eben Elben. Bald konnte Bilbo sie.
auch erspähen, während die Dämmerung immer tiefer herabfiel.
Er mochte Elben gut leiden, obgleich er selten welche traf.
Aber er fürchtete sich auch ein bißchen vor ihnen. Zwerge
dagegen verstehen sich nicht recht mit ihnen. Selbst
umgängliche Zwerge wie Thorin und seine Freunde halten
Elben für ein bißchen verrückt (was, genau bedacht, ebenfalls
ein bißchen verrückt ist), oder sie ärgern sich sogar über sie,
denn es gibt Elben genug, die sie foppen und sogar auslachen,
meistens wegen ihrer Bärte.
"Prächtig", sagte eine Stimme, "schaut nur her: Bilbo, der
Hobbit, auf einem Pony! Das ist köstlich! "
"Höchst erstaunlich und wunderbar!"
Dann begannen sie mit einem neuen Lied, das genauso
lächerlich war wie das erste, das ich aufgeschrieben habe.
Schließlich kam ein großer, junger Bursche aus den Bäumen
herab und verbeugte sich etwas spöttisch vor Gandalf und
Thorin.
"Willkommen in unserem Tal!" sagte er.
"Schönen Dank!" antwortete Thorin ein bißchen schroff. Aber
Gandalf sprang schon von seinem Pferd, stand zwischen den
Elben und sprach lustig mit ihnen.
"Ihr seid ein bißchen vom Weg abgekommen", sagte der Elb.
"Das heißt, wenn ihr den einzigen Pfad gehen wollt, der über
den Fluß und zum Haus hin führt. Wir wollen euch den richtigen
Weg weisen - aber am besten, ihr geht zu Fuß, bis ihr über die
Brücke gekommen seid. Wollt ihr nicht ein bißchen bleiben und
mit uns singen, oder wollt ihr wirklich gleich weiterziehen?
Drüben wird das Abendessen vorbereitet", sagte er. "Ich kann
die Holzfeuer bis hierher riechen. "
Müde wie er war, wäre Bilbo gern eine Weile geblieben.
Elbengesang, noch dazu im Juni unterm klaren Sternenhimmel,
sollte niemand versäumen, der Musik liebt. Auch hätte Bilbo.
gern ein paar Worte mit diesen Leuten gesprochen, die
anscheinend seinen Namen und vieles von ihm wußten, obgleich
er sie niemals vorher gesehen hatte. Er dachte, ihre Meinung
über sein Abenteuer könnte interessant sein. Elben wissen sehr
viel und erfahren alle Neuigkeiten. Sie hören schnell, was bei
den Leuten im Land vorgeht - so schnell wie Wasser im
Gebirgsfluß dahinschießt, vielleicht sogar noch ein bißchen
schneller.
Aber die Zwerge hielten mehr vom Abendessen. Sie wollten
keinesfalls bleiben, zogen also weiter und führten ihre Ponys,
bis sie auf einen ordentlichen Pfad gebracht worden waren und
endlich an das Ufer des Flusses gelangten. Er floß schnell und
laut rauschend dahin, wie Gebirgsflüsse an einem
Sommerabend, wenn die Sonne weit oben den ganzen Tag auf
dem Schnee gestanden hat. Es gab nur eine ganz schmale
Steinbrücke ohne Geländer, so schmal, daß gerade ein Pony
hinübertrotten konnte. Langsam und vorsichtig betraten sie den
Steg, einer nach dem anderen, und jeder führte sein Pony am
Halfter. Die Elben hatten schimmernde Laternen ans Ufer
gebracht und sangen ein lustiges Lied, als die Gesellschaft
hinüberzog.
"Laßt Euren Bart nicht ins Wasser hängen, Vater!" rie fen sie
Thorin zu, der fast auf allen vieren ging.
"Er ist lang genug und braucht nicht begossen zu werden. "
"Paßt auf, daß Bilbo nicht alle Kuchen aufißt." riefen sie.
"Er ist jetzt schon zu fett, um durch Schlüssellöcher zu
kriechen! "
"Still, still jetzt Freunde und gute Nacht", sagte Gandalf, der
als letzter ging. "Täler haben Ohren, und einige von euch Elben
haben eine viel zu lustige Zunge. Gute Nacht!"
Und so kamen sie schließlich zum Haus an der Einödgrenze
und fanden seine Türen weit offen.
Nun, es ist merkwürdig, aber von einem Ereignis, das gut.
abläuft, und von Tagen, die man angenehm verbringt, ist rasch
berichtet, und da gibt's auch nicht viel drüber zu hören. Indessen
läßt sich über unbequeme und aufregende, ja sogar schreckliche
Ereignisse eine gute Geschichte erzählen, jedenfalls ist eine
Menge drüber zu sagen. Die Zwerge blieben eine lange Zeit,
vierzehn Tage, in dem guten Haus, und es fiel ihnen schwer, es
zu verlassen. Bilbo wäre am liebsten für alle Zeiten
hiergeblieben, selbst dann, wenn ein Wunsch ihn ohne
Zwischenfälle hätte unmittelbar zurück in seine Hobbithöhle
bringen können. Aber - es gibt doch noch etwas über den
Aufenthalt zu berichten.
Der Herr des Hauses war ein Elbenfreund - einer von jenen
Leuten, deren Vorväter schon in den merkwürdigen
Erzählungen vor dem eigentlichen Beginn der Weltgeschichte
vorkamen, vor den Kriegen der Elben mit den Orks und vor den
ersten Menschen im Norden. In den Tagen unserer Erzählung
gab es noch immer Leute, die sowohl Elben als auch Helden aus
den Ländern des Nordens als Ahnen hatten. Und Elrond, der
Herr des Hauses, war ihr Oberhaupt.
Er besaß ein so edles und schönes Gesicht wie ein Elbenfürst,
war so stark wie ein Krieger, so weise wie ein Zauberer, so
ehrwürdig wie ein Zwergenkönig und so freundlich wie der
Sommer. Er kommt in vielen Geschichten vor, aber sein Anteil
an der Erzählung von Bilbos ,großem Abenteuer ist nur gering,
obgleich wichtig, wie ihr sehen werdet, wenn wir jemals bis zu
Ende kommen. Sein Haus war schlechthin vollkommen ob ihr
an das Essen denkt oder an den Schlaf, an die Arbeit oder an das
Geschichtenerzählen, an das Singen oder auch nur an das
einfache Dasitzen und Nachdenken, oder ob ihr an eine
angenehme Mischung von allem dem denkt. Unfriede kann nicht
in dieses Tal.
Ich wünschte, ich hätte Zeit, um euch nur einige von diesen
Geschichten oder das eine oder andere von den Liedern zu
erzählen, die die Zwerge in diesem Haus hörten. Alle, und nicht.
zuletzt die Ponys, wurden in den wenigen Tagen dort wieder
frisch und unternehmungslustig. Die Kleider wurden geflickt,
die Verwundungen heilten, Stimmung und Hoffnung waren
zuversichtlicher denn je. Die Taschen wurden mit Lebensmitteln
und Vorräten gefüllt, die leicht zu tragen, aber kräftig und
stärkend waren, damit die Reisenden gut die Gebirgspässe
überqueren konnten. Ihre Pläne wurden aufs beste beraten. So
kam der Vorabend zur Sonnenwende heran, und mit dem frühen
Licht des Mittsommermorgens wollten sie weiterziehen.
Elrond, der sich auf alle Arten von Runen verstand,
betrachtete an diesem Tag die Schwerter, die sie aus der
Trollhöhle mitgebracht hatten, und sagte : "Sie sind nicht von
den Trollen gemacht. Es sind alte Elbenschwerter, die in
Gondolin für die Orkkriege geschmiedet wurden. Sie müssen
aus einem Drachenschatz oder aus dem Raub von Orks
stammen, denn Drachen und Orks zerstörten diese Stadt vor
vielen, vielen Jahren. Auf diesem, Thorin, ist aus den Runen der
Name Orkrist zu lesen, der Orkspalter in der alten Sprache von
Gondolin. Es war eine berühmte Klinge. Dies hier, Gandalf, ist
Glamdring, der Feindhammer, den der König von Gondolin vor
Zeiten trug. Haltet sie gut!"
"Woher, meint Ihr, haben die Trolle sie?" fragte Thorin und
blickte mit neuer Anteilnahme auf sein Schwert.
"Ich kann es nicht sagen", entgegnete Elrond, "aber man
könnte vermuten, daß die Trolle andere Plünderer geplündert
haben oder auf die Reste alten Raubes in irgendeiner
Gebirgshöhle gestoßen sind. Ich hörte, daß man seit dem Krieg
der Zwerge mit den Orks noch immer vergessene Schätze in den
verlassenen Gewölben der Bergwerke von Moria finden kann. "
Thorin dachte über die Worte nach. "Ich will dies Schwert in
Ehren halten", sagte er. "Möge es bald aufs neue Orks
zerspalten! "
"Ein Wunsch, der in den Bergen leicht genug erfüllt werden.
kann!" erwiderte Elrond. "Aber nun zeigt mir die Karte!"
Er nahm sie und schaute sie lange an. Dann schüttelte er den
Kopf. Denn obgleich er Zwerge und ihre Liebe zum Gold nicht
allzusehr schätzte, haßte er doch die Drachen mit ihrer
grausamen Verschlagenheit, und es schmerzte ihn, wenn er an
die Ruinen der Stadt Dal und ihre fröhlichen Glocken dachte
und an die verbrannten Ufer des klaren Eiligen Wassers. Die
Silbersichel des Mondes leuchtete hell. Er hielt die Karte hoch,
und das weiße Licht schien hindurch. "Was ist das?" sagte er.
"Es sind Mondbuchstaben darauf, dicht neben den
gewöhnlichen Runen, die da sagen ,fünf Fuß hoch die Tür, und
drei können nebeneinander gehen`."
"Was ist das: Mondbuchstaben?" fragte der Hobbit aufgeregt.
Er mochte Karten gern, wie ich euch schon gesagt habe. Und er
hatte auch Runen gern und Briefe und verzwickte
Handschriften, obgleich er selbst ein wenig dünn und
spinnenhaft schrieb.
"Mondbuchstaben sind Runen", sagte Elrond. "Aber Ihr könnt
sie nicht sehen, wenn Ihr einfach draufschaut. Sie können nur
gelesen werden, wenn der Mond hinter ihnen steht. Bei den
verzwickten jedoch muß der Mond von der gleichen Form und
es muß die gleiche Zeit sein wie an dem Tag, an dem sie
geschrieben wurden. Die Zwerge erfanden die Mondbuchstaben
und schrieben sie mit silbernen Federn, wie Eure Freunde es
Euch erzählen könnten. Diese hier müssen vor langer Zeit an
einem Mittsommervorabend bei zunehmendem Mond
geschrieben worden sein. "
"Und was sagen sie?" fragten Gandalf und Thorin zugleich,
ein bißchen verärgert, weil ausgerechnet Elrond sie zuerst
gefunden hatte, obgleich es in Wirklichkeit vorher gar nicht
möglich war und obgleich es wer weiß wann erst wieder eine
neue Gelegenheit dazu geben würde.
"Steht bei dem grauen Stein, wenn die Drossel schlägt", las.
Elrond, "und der letzte Sonnenstrahl am Durinstag auf das
Schlüsselloch fällt."
"Durin, Durin", sagte Thorin. "Er war der Vater der Väter des
ältesten Zwergenstammes, der Langbärte, und mein Vorfahr. Ich
bin sein Erbe."
"Aber was ist der Durinstag?" fragte Elrond.
"Der erste Tag vom neuen Zwergenjahr", erklärte Thorin, "ist,
wie jedermann weiß, der erste Tag des letzten Herbstmondes am
Beginn des Winters. Noch immer nennen wir ihn den Durinstag,
wenn der letzte Herbstvollmond und die Sonne zugleich am
Himmel stehen. Aber dies wird uns nicht viel helfen, fürchte ich,
denn es überschreitet heutzutage unsere Fähigkeit,
herauszufinden, wann eine solche Gelegenheit wiederkommen
wird."
"Das bleibt abzuwarten", sagte Gandalf "Steht da noch mehr
geschrieben?"
"Nichts, was bei diesem Mond zu sehen wäre", sagte Elrond,
und er gab die Karte an Thorin zurück.
Dann gingen sie zum Fluß hinunter, denn sie wollten die
Elben am Mittsommervorabend tanzen und singen hören.
Der nächste Morgen war ein Mittsommermorgen, so klar und
frisch, wie man sich ihn nur wünschen konnte : blauer Himmel
und keine einzige Wolke, und die Sonne tanzte auf dem Wasser.
Unter vielen guten Wünschen und manchem "Auf
Wiedersehen!" ritten sie davon. Ihre Herzen waren bereit für
neue Abenteuer, und sie kannten den Weg, dem sie über die
Nebelberge in das dahinterliegende Land folgen mußten.
Über den Berg und unter den Berg
Es gab viele Wege, die hinauf in das Gebirge führten, und
viele Pässe überquerten es. Aber die meisten Pfade führten in
die Irre oder an unwegsame Stellen, und die meisten Pässe
waren voll böser und schrecklicher Gefahren. Die Zwerge und
der Hobbit, denen Gandalfs Kenntnisse und Elronds weiser Rat
halfen, schlugen den richtigen Weg zum richtigen Paß ein. Viele
lange Tage, nachdem sie aus dem Tal herausgestiegen waren
und das Haus an der Einödgrenze Meilen hinter sich gelassen
hatten, führte der Weg noch immer aufwärts und nahm kein
Ende. Es war ein beschwerlicher und ein gefährlicher Weg, ein
krummer, verschlungener Pfad, einsam und lang dazu. Jetzt
konnten sie zurück über jene Länder schauen, die sie hinter sich
gelassen hatten. Weit ausgebreitet lagen sie unter ihnen. Weit in
der Ferne, da, wo alles in blassem Blau verschwamm, dort, so
wußte Bilbo, lag seine Heimat, ein Land voll Sicherheit und
Bequemlichkeit, und dort befand sich seine kleine Hobbithöhle.
Ihn fror. Es war kalt geworden hier oben, und der Wind pfiff
schrill um die Felsen. Auch rollten zuweilen mächtige Blöcke,
die sich in der Mittagssonne aus dem Schnee gelöst hatten, die
Berghänge herab. Sie sausten zwischen der Gesellschaft durch
(was ein Glück war) oder über ihre Köpfe hinweg (was sehr
aufregend war). Die Nächte waren klamm und eisig. Die
Gesellschaft wagte nicht, zu singen oder laut zu sprechen, denn
das Echo warf jedes Geräusch doppelt stark zurück. Sie hatten
den Eindruck, daß die Stille nur vom Tosen des Wassers, dem
Klagen des Windes und dem Krachen der Steine unterbrochen
werden durfte.
Dort unten geht der Sommer weiter, dachte Bilbo, und die
Heuernte und auch die Picknicks im Freien gehen weiter. Sie
werden ernten und sogar in die Blaubeeren gehen, ehe wir den.
Abstieg auf der anderen Seite beginnen können.
Und auch die anderen hatten ähnliche trübe Gedanken,
obgleich sie aufgeräumt von der überquerung des Gebirges und
von einem raschen Ritt durch die Länder auf der anderen Seite
gesprochen hatten.
Aber das war an einem hofFnungsvollen Mittsommermorgen
gewesen, als sie von Elrond Abschied nahmen. In ihren
Gedanken waren sie schon an der Geheimtür am Einsamen Berg
angekommen.
"Vielleicht langen wir schon beim nächsten Herbstmond an",
hatten sie gesagt, "und wer weiß, am Ende ist es dann gerade der
Durinstag. Nur Gandalf hatte den Kopf geschüttelt und nichts
darauf erwidert, denn die Zwerge waren seit vielen Jahren
diesen Weg nicht mehr gegangen. Gandalf aber kannte ihn, und
er wußte, wie die schlimmen überraschungen und Gefahren im
Einödland bedrohlich gewachsen waren, seitdem die Drachen
die Menschen dort vertrieben und die Orks nach der Schlacht
um die Bergwerke von Moria sich im geheimen ausgebreitet
hatten. Selbst die guten Pläne weiser Zauberer wie Gandalf und
rechter Freunde wie Elrond werden zuweilen zunichte gemacht,
wenn man jenseits der Grenze des Einödlandes auf gefährliche
Abenteuer auszieht. Gandalf war ein Zauberer, der klug genug
war, das zu wissen.
Er wußte, daß etwas Unerwartetes geschehen konnte, und er
wagte kaum zu hoffen, daß sie ohne Schrecken und Abenteuer
über dieses riesengroße Gebirge gelangen würden, ein
Niemandsland mit einsamen Gipfeln und Tälern, in denen keine
Könige regierten. Und in der Tat, es gelang ihnen nicht.
Alles war gut, bis sie eines Tages in ein Gewitter gerieten - in
mehr als ein Gewitter: in eine Schlacht von Gewittern. Ihr wißt,
wie entsetzlich ein großes Gewitter im flachen Land oder in
einem Flußtal sein kann, besonders, wenn zwei Gewitter mit
mächtigem Getöse aufeinanderkrachen. Noch schlimmer aber.
sind Donner und Blitz nachts in den Bergen, wenn Stürme von
Ost und West herantosen und die Schlacht in den Lüften
beginnt. Die Blitze zersplittern auf den Gipfeln, und die Felsen
erzittern, ein riesiges Getöse zerreißt die Luft und dringt
grollend und dröhnend in jede Höhle und in jedes Loch.
Die Finsternis ist erfüllt von überwältigendem Lärm und
plötzlichen Lichtflammen.
Niemals hatte Bilbo so etwas gesehen, niemals hatte er sich so
etwas vorgestellt. Sie waren hoch an einer engen Stelle mit
einem schrecklichen seitlichen Abfall tief hinab in ein düsteres
Tal. Dort hatten sie unter einem überhängenden Felsen für die
Nacht Schutz gesucht. Bilbo lag unter seiner Decke und zitterte
von Kopf bis Fuß. Wenn er während eines Blitzes drunter
hervorlugte, sah er jenseits des Tales die Steinriesen, die
herausgekommen waren und sich zum Spaß Felsblöcke
zuschleuderten. Die Riesen fingen die Felsen auf und warfen sie
in die Finsternis, wo sie tief unten Bäume zerschmetterten oder
krachend in tausend Stücke zersprangen. Dann rauschten die
Winde, dann peitschten Regen und Hagel in jedwede Richtung,
so daß der überhängende Fels keineswegs ein Schutz genannt
werden konnte. Bald waren sie gänzlich durchnäßt. Ihre Ponys
standen mit hängenden Köpfen, die Schwänze zwischen die
Beine geklemmt, und einige wieherten aus Furcht. Sie konnten
gut hören, wie die Riesen drüben im Gebirge in schallendes
Gelächter und Gebrüll ausbrachen.
"Wir sind hier nicht gut untergebracht", sagte Thorin. "Wenn
wir nicht weggeblasen oder ersäuft oder vom Blitz erschlagen
werden, so greift uns gewiß einer von diesen Riesen auf und tritt
uns wie einen Fußball in den Himmel."
"Richtig, aber wenn Ihr einen besseren Platz wißt, so führt uns
doch hin", sagte Gandalf, der mürrisch war und auch seinerseits
keineswegs erbaut über die Riesen dort drüben.
Das Ende der Streiterei war, daß sie Kili und Fili.-84-
ausschickten, einen besseren Schutz zu suchen. Die beiden
hatten sehr scharfe Augen, und da sie, um etwa fünfzig Jahre
jünger als die anderen, die jüngsten unter den Zwergen waren,
wurden sie für gewöhnlich mit solchen Aufgaben betraut
(nachdem jeder eingesehen hatte, daß es auch nicht den
geringsten Zweck hatte, Bilbo loszuschicken). "Es geht nichts
über das Suchen, wenn man etwas finden will", so oder ähnlich
äußerte sich Thorin den jungen Zwergen gegenüber. "Zwar
findet man bestimmt etwas, aber gewöhnlich ist es durchaus
nicht das, was man gesucht hat." Und das war auch hier der Fall.
Bald kamen Kili und Fili zurückgekrochen. Sie klammerten
sich vor dem Sturm am Felsen fest. "Wir haben eine trockene
Höhle gefunden", sagten sie, "nicht weit hinter der nächsten
Felsnase. Auch die Ponys passen hinein. "
"Habt ihr die Höhle durch und durch erforscht?" fragte der
Zauberer. Er wußte, daß Gebirgshöhlen selten unbewohnt
waren.
"Ja, ja!" antworteten sie, obgleich jeder wußte, daß ihnen dazu
gar keine Zeit geblieben sein konnte.
"Die Höhle ist nicht allzugroß und geht auch nicht allzutief in
den Berg."
Das ist natürlich die gefährliche Seite an Höhlen. Man weiß
nicht, wie weit sie reichen, wo ihre Gänge hinführen und was
darinnen auf einen wartet. Aber jetzt schien Kilis und Filis
Bericht zu genügen. Sie standen auf und bereiteten ihren Umzug
vor. Der Sturm heulte noch immer, der Donner grollte, und sie
hatten Mühe, sich und die Ponys überhaupt voranzubringen.
Indessen war es wirklich nicht weit zu gehen, und bald kamen
sie an einen mächtigen Fels, der in den Pfad hereinragte. Als sie
ihn umgangen hatten, fanden sie einen niedrigen Torbogen in
der Bergseite. Es blieb gerade Platz genug, daß die Ponys,
nachdem man sie abgepackt und abgesattelt hatte, sich
durchquetschen konnten.
Als sie den Eingangsbogen passiert hatten, war es drinnen
angenehm, sie hörten draußen Wind und Regen toben, anstatt
beides auf der eigenen Haut zu spüren. Sie fühlten sich sicher
vor den Riesen und den Felsblöcken. Aber der Zauberer wollte
nichts aufs Spiel setzen. Er zündete seinen Zauberstab an, wie er
es damals in Bilbos Speisezimmer getan hatte (wenn ihr euch
erinnert - wie lange war das nun schon her!), und untersuchte
die ganze Höhle von einem Ende zum andern.
Sie schien brauchbar zu sein, nicht zu groß und nicht zu
unheimlich. Sie hatte einen trockenen Boden und einige
gemütliche Nischen, an einem Ende war Raum für die Ponys,
und dort standen sie, sehr erfreut über den Wechsel, dampften
und schnauften in ihre Futterbeutel.
Oin und Gloin wollten am Eingang ein Feuer anzünden, um
die Kleider zu trocknen, aber davon wollte Gandalf nichts
wissen. So breiteten sie ihre nassen Sachen auf dem Boden aus
und holten trockene aus den Bündeln hervor. Dann legten sie
ihre Decken aus, machten es sich bequem, holten ihre Pfeifen
hervor und bliesen Rauc hringe in die Luft. Gandalf verwandelte
sie in verschiedenfarbige, die er unter der Gewölbedecke tanzen
ließ, um die Gesellschaft zu erheitern. Sie erzählten und
erzählten, vergaßen den Sturm und stritten darüber, was jeder
mit seinem Anteil am Schatz unternehmen würde (wenn sie ihn
erst hätten, und das schien in diesem Augenblick gar nicht so
unmöglich). Dann fiel einer nach dem anderen in Schlaf. Und
dies war das letzte Mal, daß sie ihre Ponys besaßen, das Gepäck,
die Vorräte, die Werkzeuge und all den anderen Kram, den sie
mitgenommen hatten.
In dieser Nacht zeigte es sich, wie gut es war, daß sie den
kleinen Bilbo dabei hatten, denn aus irgendeinem Grund konnte
er erst nach langer Zeit einschlafen. Und als er endlich
einschlief, hatte er scheußliche Träume. Er träumte, daß ein
Spalt in der hinteren Felsmauer der Höhle immer größer und
größer wurde und daß er immer weiter und weiter sich öffnete..Und die Angst packte ihn. Aber er konnte weder rufen noch
etwas anderes tun. Er lag nur und sah., Dann träumte er, daß der
Boden der Höhle zu sinken und zu rutschen anfing - tief zu
fallen, immer tiefer, Gott weiß wohin.
Darüber wachte er mit einem entsetzlichen Ruck auf und fand
einen Teil seines Traumes wahr. Ein Spalt hatte sich an der
Höhlenrückwand geöffnet und bildete mittlerweile einen breiten
Durchgang.
Bilbo konnte gerade noch den letzten Ponyschwanz darin
verschwinden sehen. Natürlich stieß er einen schrecklich lauten
Schrei aus, so laut ein Hobbit eben schreien kann, und das ist,
mit seiner Größe verglichen, immerhin ganz erstaunlich.
Heraus sprangen Orks, gewaltige koboldartige Wesen, große,
übel aussehende Orks, Massen von Orks, noch ehe einer einen
Mucks sagen konnte. Sechs kamen auf jeden Zwerg und zwei
sogar auf Bilbo, und alle wurden gegriffen und durch den Spalt
weggeschleppt, ehe sie "Mucks" oder "Hoppla" sagen konnten.
Nur Gandalf nicht. Soviel hatte Bilbos Schrei wenigstens
erreicht. Gandalf war im Bruchteil einer Sekunde hellwach
geworden, und als die Orks ihn greifen wollten, erhellte ein
entsetzlicher Strahl die Höhle wie ein Blitz. Pulvergestank
verbreitete sich, und mehrere Orks blieben tot auf der Strecke.
Schnappend schloß sich der Spalt. Bilbo und die Zwerge
waren auf der falschen Seite. Wo aber blieb Gandalf? Das
wußten weder sie noch die Orks, und die warteten nicht darauf,
bis sie es herausgefunden hatten. Sie schnappten Bilbo und die
Zwerge und hasteten weiter. Das geschah in völliger Dunkelheit,
in einer Finsternis, durch die nur Orks, die im Herzen der
Gebirge hausen, hindurchsehen können. Kreuzungen und
Gabelungen liefen nach allen Richtungen, aber die Orks kannten
ihren Weg ebenso gut, wie ihr euren Weg zum nächsten Postamt
kennt. Immer tiefer führte der Weg hinab, und es war scheußlich
stumpf und stickig. Wüste Burschen waren diese Orks, und sie
kniffen Bilbo und die Zwerge unbarmherzig. Sie grunzten und
lachten mit ihren schrecklichen, versteinerten Stimmen, und der
Hobbit war noch viel unglücklicher als damals, als der Troll ihn
bei den Zehen hochgehoben hatte. Er wünschte sich immerzu
fort in seine hübsche, saubere Hobbithöhle, und das nicht zum
letzten Male.
Jetzt schimmerte ein rotes Licht auf Die Orks begannen zu
singen (besser : zu krächzen) und klopften mit ihren Füßen den
Takt, wobei sie ihre Gefangenen kräftig schüttelten.
"Klapp! Schnapp! Ins Finstre hinab!
Gripp! Grapp! Schneid ihm die Ohren ab!
Ab in den Orkturm schrei nur, du Wurm!
Klatsch! Ratsch! Peitscht sie, und patsch!
Knüppel und Leder - wimmerst du? Watsch!
Eisen und Zangen im Orkturm quietscht noch ein Wurm?
Zisch! Zasch! Schneller und rasch!
Gejammer, Gewinsel - weh, wird einer lasch!
Drunten grabt ihr die Nägel wund murrt noch ein Hund?"
Das klang entsetzlich. Die Wände warfen das Echo von
"Klapp!", "Schnapp!", Klatsch!", "Patsch!" und das scheußliche
Gelächter ihres "Schrei nur, du Wurm!" vielfältig zurück. Die
Bedeutung dieses "Gesanges" war allzu klar. Denn jetzt holten
die Orks ihre Peitschen heraus und knallten sie mit Sausen und
Pfeifen auf die Rücken der Unglücklichen. Das brachte sie zum
Laufen, so schnell sie nur konnten. Und mehr als einer von den
Zwergen blökte und jammerte steinerweichend, als sie endlich
in ein weites Gewölbe hineinstolperten.
Das Gewölbe war in der Mitte durch ein großes rotes Feuer
erleuchtet und rings an der Wand durch Fackeln. Es wimmelte
von Orks. Sie lachten und stampften und klatschten in die
Hände, als die Zwerge hereingerannt kamen (als letzter der arme
kleine Bilbo, der dadurch den Peitschenschlägen am nächsten
war), während die Treiber hinter ihnen her brüllten und mit den
Peitschen knallten. Die Ponys hatte man vorher in einer Ecke
zusammengetrieben, und da lagen auch alle Gepäckstücke
aufgebrochen herum, von Orks durchstöbert, von Orks
angerochen, von Orks befingert, und die Orks hatten sich schon
kräftig um sie gestritten.
Es war wirklich das letzte Mal, daß sie diese ausgezeichneten
kleinen Ponys sahen und den kräftigen weißen Kerl, den E1rond
dem Zauberer geliehen hatte, da sein Pferd für die Gebirgspfade
nicht tauglich war. Orks fressen nämlich Pferde und Ponys und
Esel (und noch anderes, viel Schlimmeres), trotzdem sind sie
allzeit hungrig. Jetzt aber konnten die Gefangenen nur an sich
selbst denken. Die Orks ketteten ihnen die Hände auf den
Rücken, schlossen sie zusammen zu einer langen Reihe und
stießen sie in die letzte Ecke des Gewölbes (der kleine Bilbo
schleppte sich am Ende der erbärmlichen Reihe hin).
Dort im Schatten saß auf einem flachen Stein ein riesenhafter
Ork mit einem gewaltigen Kopf.
Bewaffnete Kerle standen rund um ihn und trugen _xte und
gebogene Schwerter, wie man sie bei diesen Wesen zu tragen
pflegt. Nun sind Orks grausam, verschlagen und schlecht. Sie
stellen keine schönen Gegenstände her, aber sie sind keineswegs
ungeschickt. Sie können Stollen graben, können minieren wie
die geschicktesten Zwerge - wenn sie sich Mühe geben, aber für
gewöhnlich sind sie unordentlich und schmutzig. Hämmer und
Äxte, Schwerter, Dolche und Picken, Zangen und
Marterwerkzeuge, das machen sie gut - oder zwingen andere
dazu, sie nach ihren Plänen herzustellen, Gefangene und
Sklaven, die arbeiten müssen, bis sie aus Mangel an Luft und
Licht sterben. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß sie einige von
jenen Maschinen erfunden haben, die seither die Welt
verheeren, besonders jene ausgeklügelten Vorrichtungen, die
Massen von Lebewesen auf einen Schlag vernichten, denn
Räder, Maschinen und Explosionen erfreuten sie schon immer.
Mit eigenen Händen arbeiteten sie nur, wenn es nicht anders
ging. Aber in jenen wüsten Gegenden waren sie damals noch
nicht so weit fortgeschritten (wie man das wohl nennt). Zwerge
haßten sie nicht aus besonderen Gründen, nicht mehr, als sie alle
und jeden haßten, und besonders die Ordentlichen und
Tüchtigen. Da und dort waren verschlagene Zwerge Bündnisse
mit ihnen eingegangen. Gegen Thorins Volk jedoch hegten sie
wegen des Krieges, von dem ihr schon gehört habt, einen
besonderen Groll.
Sonst ist es den Orks gleich, wen sie fangen - solange es
gerissen geschieht und geheim bleibt und solange die
Gefangenen nicht fähig sind, sich zu verteidigen.
"Wer sind diese elenden Gestalten?" fragte der Große Ork.
"Zwerge und dieser Wurm dazu", sagte einer von den
Treibern, riß an der Kette, so daß Bilbo nach vorn auf die Knie
fiel. "Wir fanden sie schlafend in der großen Eingangshalle."
"Was hattet Ihr vor?" fragte der Große Ork, wobei er sich an
Thorin wandte. "Todsicher nichts Gutes!
Spioniert Ihr meine Leute aus? Ich wäre nicht überrascht.
Diebe, Mörder und Elbenfreunde - was denn sonst! Los, was
habt Ihr zu sagen? "
"Zwerg Thorin, zu Euren Diensten!" antwortete er - doch es
war nicht mehr als eine nichtssagende Höflichkeitsformel.
"Von alldem, was Ihr vermutet und Euch vorstellt, entspricht
nichts den Tatsachen. Wir suchten nur in einer brauchbaren und
unbewohnten Höhle Schutz vor dem Sturm. Nichts lag uns
ferner, als Orks zu belästigen." Und das entsprach wirklich den
Tatsachen.
"Hm!", sagte der Große Ork, "Gerede! Darf ich fragen, was
Ihr überhaupt im Gebirge zu schaffen habt und wo Ihr
herkommt und wohin Ihr wollt? Ich möchte alles über Euch
wissen. Zwar - es wird Euch nichts helfen, Thorin Eichenschild,
ich weiß schon viel zuviel über Euer Volk - aber sagt die
Wahrheit, oder ich werde etwas ganz besonders Unangenehmes
Euch anstellen! "
"Wir machen eine Reise, um unsere Verwandten zu besuchen,
unsere Neffen und Nichten und Kusinen ersten, zweiten und
sogar dritten Grades und all die anderen Nachkommen unseres
Großvaters, die auf der Ostseite dieses wirklich gastfreundlichen
Gebirges wohnen", sagte Thorin der im Augenblick nicht wußte,
was er antworten sollte, zumal die Wahrheit offensichtlich
nichts genutzt hätte.
"Er ist ein Lügner, oh, ein unwahrscheinlicher Lügner!" sagte
einer der Treiber. "Mehrere von unseren Leuten wurden in der
Höhle durch einen Blitz erschlagen, als wir diese Kreaturen
einluden, herunterzukommen. Nun sind sie so tot wie ein Stein.
Das hat er noch nicht erklärt!" Er zeigte das Schwert, das Thorin
getragen und das aus dem Trollschatz stammte.
Kaum hatte der Große Ork das Schwert erblickt, als er ein
schauerliches Geheul ausstieß. Alle seine Soldaten knirschten
mit den Zähnen, schlugen an ihre Schilde und stampften mit den
Füßen. Sie kannten das Schwert sofort wieder. Zu jener Zeit, als
die Elben von Gondolin die Orks in den Bergen jagten oder vor
ihren Befestigungen schlugen, hatte es Hunderte von Orks
getötet. Die Elben hatten es Orkrist genannt, Orkspalter, aber die
Orks nannten es einfach "Beißer". Sie haßten es, und den, der es
trug, haßten sie noch mehr.
"Mörder und Elbenknechte". brüllte der Große Ork.
"Zerschmettert sie, zerschlagt sie, zerbeißt sie, werft sie ins
finstere Schlangenloch und laßt sie nie wieder das Tageslicht
sehen!" Er war in einer solchen Wut, daß er vom Sitz aufsprang
und mit offenem Maul auf Thorin zustürzte.
Gerade in diesem Augenblick verlöschten in der Höhle die
Lichter, und das große Feuer ging mit einem Puff in eine Säule
von blau glühendem Rauch auf, die hoch bis unters Gewölbe
reichte und weiße, beißende Funken auf die Orks herabsprühte.
Geschrei und Gejammer brachen aus, Kreischen,
Zähneklappern und Schnattern, Geheul und Gestöhn, Geklage,
Toben und Brüllen; nicht zu beschreiben. Mehrere hundert wilde
Katzen und Wölfe würden, lebendig geröstet, diesen Spektakel
nicht übertroffen haben. Die Funken brannten den Orks in die
Haut, und der Rauch, der vom Gewölbe herabfiel, machte die
Luft so dick, daß selbst ihre Augen nicht hindurchsehen
konnten. Da fielen sie übereinander her und rollten zusammen
über den Boden, beißend und tretend und fechtend, als ob sie
verrückt geworden wären.
Plötzlich flammte in seinem eigenen Licht ein Schwert auf.
Bilbo sah, wie es von Kopf bis Fuß durch den Großen Ork fuhr.
Tot fiel er nieder, und die Orksoldaten flohen schreiend vor
diesem Schwert in die Finsternis.
Das Schwert kehrte zurück in seine Scheide. "Folgt mir
rasch", sagte eine zornige leise Stimme. Und ehe Bilbo verstand,
was geschehen war, rannte er los, so schnell er nur konnte am
Ende der Kette, hinunter in noch dunklere Gänge, und hinter
ihnen wurden die Schreie aus der Orkhalle immer leiser und
leiser. Ein fahles Licht führte sie.
"Schneller, schneller forderte die Stimme. "Die Fackeln sind
rasch wieder angezündet."
"Nur eine halbe Minute!" sagte Dori, ein prächtiger Bursche,
der dicht vor Bilbo am Kettenende rannte.
Er ließ den Hobbit auf seine Schultern krabbeln, so gut es mit
gebundenen Händen ging, und dann fingen sie wieder an zu
rennen unter dem Klincklink der Ketten und mit viel Gestolper,
denn sie hatten ja keine Hand frei, um sich zu stützen. Es
dauerte eine Weile, dann erst hielten sie an. Sie mußten tief im
Herzen des Gebirges sein.
Da zündete Gandalf seinen Stab an. Natürlich, es war
Gandalf. Aber jetzt hatten sie anderes zu tun, als ihn zu fragen,
wie er hierhergekommen war. Er nahm sein Schwert heraus, und
wieder erglühte es im Dunkeln. Jedesmal, wenn Orks in der
Nähe waren, brannte es vor Wut. Nun aber war es eine
leuchtend blaue Flamme aus Freude darüber, daß es den großen
Fürsten der Höhle getötet hatte. Es machte ihm gar nichts aus,
die Orkketten durchzuschneiden und die Gefangenen, so schnell
es ging, in Freiheit zu setzen. Der Name dieses Schwertes war
Glamdring, der Feindhammer, wenn ihr euch erinnert. Die Orks
nannten es bloß "Schläger" und haßten es beinahe noch mehr als
"Beißer". Auch "Orkrist" war gerettet worden; Gandalf hatte es
einem der entsetzten Wachen aus der Hand gerissen.
Gandalf dachte auch an alles. Obgleich er nicht allmächtig
war, konnte er doch für Freunde, die in der Klemme saßen, eine
Menge erreichen.
"Sind wir alle da?" fragte er und gab Thorin das Schwert mit
einer Verbeugung zurück. "Laßt sehen: eins - das ist Thorin;
zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, zehn, elf. Wo
sind Kili und Fili?
Aha, hier sind sie! Zwölf, dreizehn und da ist auch Mister
Beutlin: vierzehn! Gut, sehr gut! Es hätte schlimmer sein
können. Aber es hätte auch ein gut Teil besser sein können.
Keine Ponys, nichts zu essen, keiner weiß, wo wir sind, und
Horden von wütenden Orks hinter uns! Los, es geht weiter!"
Und es ging weiter. Gandalf hatte ganz recht: Sie hörten
Geschrei und schreckliches Gelärm weit hinten in den
Durchgängen, die sie passiert hatten. Das ließ sie rascher laufen
denn je. Und da der arme Bilbo wahrscheinlich kaum halb so
schnell hätte rennen können, Zwerge sind riesig schnell, wenn es
sein muß, das kann ich euch erzählen, nahmen sie ihn
abwechselnd huckepack.
Indessen laufen Orks noch schneller als Zwerge, und vor
allem: Diese Orks kannten den Weg besser (sie hatten die Wege
schließlich selbst gebaut), und schrecklich wütend waren sie
außerdem. So konnten die Zwerge laufen, wie sie wollten sie
hörten das Schreien und Heulen immer näher herankommen.
Bald konnten sie sogar das Patschen der Orkfüße hören, vieler,
vieler Füße, die anscheinend schon die letzte Kehre erreicht
hatten. Roter Fackelschein tanzte hinter ihnen im Tunnel
sterbensmüde waren unsere Zwerge.
"Warum habe ich nur meine Hobbithöhle verlassen!" sagte
der arme Mister Beutlin und bumste auf Bomburs Rücken auf
und nieder.
"Warum habe ich nur einen verrückten Hobbit auf die
Schatzjägerei mitgenommen!" sagte der arme Bombur, der so
fett war, und er taumelte weiter, während ihm der Schweiß vor
Hitze und Entsetzen die Nase heruntertropfte.
In diesem Augenblick blieb Gandalf zurück und Thorin mit
ihm. Sie stellten sich hinter eine scharfe Biegung. "Kehrt!" rief
Gandalf "Zieht Euer Schwert, Thorin Etwas anderes blieb ihnen
auch nicht übrig. Die Orks allerdings waren nicht darauf
vorbereitet. Sie rasten mit vollem Geschrei um die Kehre - und
fanden Orkspalter und Feindhammer kalt und leuchtend gleich
vor ihren erstaunten Augen schimmern. Die an der Spitze ließen
ihre Fackeln fallen und schrien auf, ehe sie niedergestreckt
wurden. Die hinter ihnen schrien noch mehr, sprangen zurück
und stießen mit denen zusammen, die ihnen nachgerannt kamen.
"Beißer und Schläger!" brüllten sie.
Und bald herrschte ein schlimmes Durcheinander, die meisten
hasteten den Weg zurück, den sie gekommen waren.
Es dauerte eine ganz schöne Zeit, bevor einer es wagte, seine
Nase um diese Kehre zu stecken.
Unterdessen waren die Zwerge natürlich weitergelaufen, ein
langes, langes Stück in die dunklen Gänge des Orkreiches
hinein. Als die Orks das merkten, löschten sie ihre Fackeln und
schlichen ihnen auf leisen Sohlen nach. Sie suchten ihre
schnellsten Renner mit den schärfsten Augen und Ohren aus.
Sie rannten los, flink wie Wiesel im Dunkeln, und machten
kaum mehr Geräusch als eine Fledermaus.
So hörten weder Bilbo noch die Zwerge noch Gandalf sie
kommen. Und sehen konnten sie die Verfolger auch nicht. Aber
die Flüchtenden wurden von den Orks, die lautlos hinter ihnen
herrannten, gesehen, denn Gandalf ließ seinen Zauberstab ein
schwaches Licht ausstrahlen, um den Zwergen bei ihrem Lauf
zu helfen.
Ganz plötzlich wurde Dori, der jetzt am Ende lief und Bilbo
trug, von hinten aus dem Dunkel ergriffen.
Er schrie und fiel auf die Nase, und der Hobbit rollte von
Doris Schultern in die Finsternis, schlug mit dem Kopf auf
harten Fels auf und erinnerte sich an nichts mehr.
Rätsel in der Finsternis
Als Bilbo seine Augen öffnete, fragte er sich, ob er sie
wirklich offen hatte, denn es war genauso dunkel, als hätte er sie
noch geschlossen gehalten. Niemand war bei ihm. Stellt euch
seine Angst vor!
Er konnte nichts hören, nichts sehen, und er konnte nichts
fühlen außer den Steinen auf dem Boden.
Er erhob sich langsam und kroch auf allen vieren umher, bis
er die Wand des Stollens berührte. Aber dort konnte er nichts
finden: gar nichts, keine Spur von Orks, keine Spur von
Zwergen. Sein Kopf schwamm vor Benommenheit, und er hatte
keine Ahnung, in welcher Richtung sie gelaufen waren, als er
seinen Sturz tat. Auf gut Glück kroch er ein ordentliches Stück
weiter, bis seine Hand plötzlich auf dem Boden des Stollens
etwas liegen fand - etwas, das sich wie ein dünner Ring aus
einem kalten Metall anfühlte. Und das war ein Wendepunkt in
seinem Leben. Aber er wußte es nicht. Er steckte den Ring in
seine Tasche, ohne sich Gedanken zu machen. Sicherlich, im
Augenblick schien dieses Etwas zu nichts nütze zu sein. Er ging
auch nicht viel weiter, setzte sich auf den kalten Boden und gab
sich völlig seinem grenzenlosen Ele nd hin. Wie schön könnte
ich jetzt zu Hause Eier und Schinken in meiner Küche backen,
dachte Bilbo, denn sein Magen sagte ihm, daß es höchste Zeit
für eine Mahlzeit wäre. Aber das machte ihn nur noch elender.
Er konnte sich weder ausdenken, was er jetzt hätte
unternehmen sollen, noch konnte er sich zusammenreimen, was
geschehen war oder warum sie ihn allein zurückgelassen hatten
oder warum, wenn er nun einmal allein zurückgelassen worden
war, die Orks ihn nicht erwischt hatten. Er konnte sich nicht
einmal erklären, warum sein Kopf so weh tat. Die Wahrheit war,
daß er lange Zeit ohne einen Mucks in einer dunklen Nische
gelegen hatte (aus dem Auge - aus dem Sinn).